Es fehlt Eis. Die Mitglieder der kalifornischen Cryonics Society, der Kryonik Gesellschaft, schaffen immer neue Packungen heran. James Bedford, ein 73-jähriger Psychologieprofessor, ist am 12. Januar 1967 einem Nierentumor mit Metastasen in der Lunge erlegen, und muss umgehend gekühlt werden. Die drei Ärzte Robert Prehoda, Dante Brunol und Robert Nelson ersetzen Bedfords Blut nach und nach mit Frostschutzmittel. In der Gefrierlösung enthalten sind Stoffe, die die Bildung von Eiskristallen verhindern, denn die würden sonst das Gewebe irreversibel schädigen. Zwei Tage nach der Tiefkühlprozedur erklärt die Cryonics Society in einer Pressemitteilung: "Ein Patient wurde sofort nach seinem Krebstod eingefroren, in der Hoffnung auf eine mögliche Wiederbelebung und Verjüngung durch zukünftige Techniken. (...) Der Patient ist nun mit Trockeneis auf minus 79 Grad Celsius abgekühlt und wird bald in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius gelagert." Die Ärzte wickeln Bedford dazu in Aluminiumfolie und schicken ihn kopfüber in den Stickstofftank.
Aufschub durch Kühlung
Mit dem Fall Bedford verlässt die Wissenschaft der Kryonik die Welt der Science-Fiction-Leseheftchen. Zum ersten Mal wird die kryonische Suspension, was so viel bedeutet wie Aufschub durch Kühlung, im wahren Leben umgesetzt. Die Idee: Ähnlich wie bei einem Winterschlaf ruhen die menschlichen Zellen in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius, um später - aufgetaut - erneut zu leben, zum Beispiel in einer Zukunft, in der zum Beispiel Krebs heilbar ist.
Kryonik: Chance auf physikalische Unsterblichkeit
Als Erfinder der Kryostase, der reversiblen Konservierung von Organismen bei Kälte, gilt der Amerikaner Robert C.W. Ettinger, der seit 2011 im Tank Nummer 106 des Cryonic Institute in Michigan ruht. Als Robert Ettinger zwölf Jahre alt ist, liest er wie viele Jungen die Amazing Stories, ein Heftchen mit Science-Fiction-Geschichten. 1931 erscheint die Geschichte des Professor Jameson, der Millionen Jahre tiefgekühlt im Orbit kreist, bis ihn Außerirdische wieder zum Leben erwecken. Kleine Leseprobe: "In der Tiefe des Raumes, das gigantische Himmelsgewölbe durchkreisend, etwa zwanzigtausend Meilen von der Erde, kreuzte der Körper von Professor Jameson in seinem Raketengehäuse auf einer endlosen Reise. Er hatte nach einem Plan gesucht, durch den er vielleicht seinen Körper nach dem Tod unbegrenzt konservieren könnte. Lange und hart hatte er daran gearbeitet. Seit den Pharaonen suchte die menschliche Rasse nach einem Mittel, das die Toten vor dem Wüten der Zeit bewahren konnte." Robert Ettinger indes wird Physiklehrer; über Jahrzehnte sammelt er alle Erkenntnisse der Medizin, Biologie und Physik, die seine Idee von der Kryostase nähren, und veröffentlicht sie 1964 in dem Buch "The Prospect of Immortality - Die Aussicht auf Unsterblichkeit". Das Manifest der Kryonik beginnt mit dem Satz: "Die meisten der von uns Lebenden haben die Chance auf persönliche, physikalische Unsterblichkeit." 1976 gründet er in einem Vorort von Detroit das Cryonics Institute.
Körper, Köpfe und Hirne
Bei den beiden großen gemeinnützigen Lebensverlängerungsstiftungen in den USA, Alcor und dem Cryonics Institute, lagern über 200 tiefgefrorene Menschen – am Stück oder in Teilen. In den Stahlkapseln von Alcor in Phoenix, Arizona, stecken derzeit 36 Körper, 62 Köpfe und acht Hirne. Beim Cryonics Institute in Michigan sind es 107 Patienten, 180 DNA-Proben und 134 Haustiere. Kopfüber im Stickstofftank ruhen dort auch Robert Ettingers Mutter und seine zwei Ehefrauen. Heute könnten die Menschen, Hirne und Haustiere noch nicht zum Leben erweckt werden. Bei der Kältekonservierung größerer Organe, auch dem Gehirn, entstehen Gewebeschäden, die zurzeit als nicht reversibel gelten. Das Problem: Der Mensch besteht aus verschiedenen Geweben mit unterschiedlicher Dichte, Wärmeleitung und Temperaturempfindlichkeit – jeder Zelltyp bräuchte sein eigenes Frostschutzmittel. Die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase erklärt, es könne derzeit keine Garantie geben für die Heilung von kryonikbedingten Schäden. "Die rasante Entwicklung von Medizin und Technik gibt jedoch Anlass zu vorsichtigem Optimismus."
Stand: 12.01.2012
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