In orangefarbene Overalls gekleidete Häftlinge knien im Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay (Aufnahme von Januar 2002)

Stichtag

11. Januar 2002 - Die ersten Häftlinge treffen in Guantánamo ein

Häftling Nummer 671 ist ein afghanischer Taxifahrer. Said Abassin verbringt 13 Monate im US-Militärgefängnis in Guantánamo im Südosten Kubas, weil er einen falschen Fahrgast gehabt hat. Als er gerade den Cousin eines gesuchten Kämpfers chauffierte, geriet er in Kabul in eine Militärkontrolle - und wurde kurzerhand mitverhaftet. In Guantánamo lebt Abassin in einem Drahtkäfig, etwa zwei Mal drei Meter groß. Darin befinden sich eine Pritsche, ein Waschbecken und ein Loch im Boden als Toilette.

Eingerichtet wird das Gefangenenlager nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem anschließenden Beginn des Afghanistankrieges. Es gehört zum US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay, der an einer 20 Kilometer langen Bucht liegt. Ein Teil der Bucht wurde 1903 von Kuba an die USA abgetreten, die das Gebiet seither kontrollieren. Mutmaßliche Mitglieder von Al-Qaida und Taliban-Kämpfer sollen nach dem Willen von US-Präsident George W. Bush dorthin gebracht werden. Die ersten 20 Gefangenen treffen am 11. Januar 2002 im "Camp X-Ray" ein. Bereits Ende April 2002 wird es durch das wesentlich größere "Camp Delta" ersetzt. Allein im ersten Jahr werden hunderte Menschen aus 40 Ländern nach Guantánamo gebracht.

"Bewusst rechtsfreier Raum"

Da das Lager nicht auf amerikanischem Staatsgebiet liegt, kann die US-Armee den Gefangenen Rechte verwehren, die in den USA gelten würden. Die Inhaftierten werden weder als Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention noch als Strafgefangene definiert, sondern als "feindliche Kämpfer".

"Die Menschen, die nach Guantánamo gebracht worden sind, sind ganz bewusst in einen rechtsfreien Raum gestellt worden", sagt Rechtsanwalt eines ehemaligen Lagerinsassen Bernhard Docke. Diese Rechtskultur entspreche dem Mittelalter. "Und so sind sie auch behandelt worden: Kerker, Isolation und Folter." Docke vertritt den türkischen Staatsbürger Murat Kurnaz, der in Bremen aufgewachsen ist. Kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers reist er nach Pakistan, wird dort verhaftet und nach Guantánamo gebracht - für viereinhalb Jahre: "Ich habe gesehen, wie ganz gesunde Gefangene zum Arzt gegangen und wiedergekommen sind - und ihnen fehlte irgendein Körperteil." Ein Arm oder Finger "oder sonst was", sei amputiert gewesen. Kurnaz wird schließlich freigelassen. Er hat offensichtlich nichts verbrochen. Seinem Anwalt erzählt Kurnaz, wie Gefangene in Isolationszellen systematisch gefoltert wurden, um Geständnisse zu erpressen.

Obama bricht Versprechen

Allein 2003 versuchen mindestens 120 Häftlinge in Guantánamo, sich das Leben zu nehmen. Im August 2004 berichten drei britische Ex-Insassen von Misshandlungen und sexuellen Erniedrigungen. Das Rote Kreuz spricht von "folterähnlicher Behandlung" der Gefangenen. Im April 2005 kritisiert der Europarat die USA wegen "unmenschlicher und rechtswidriger" Haftbedingungen. Im Februar 2006 urteilt die UNO-Menschenrechtskommission, einige Verhörpraktiken glichen einer Folterung. Die USA haben zugegeben, dass es in Guantánamo zu Misshandlungen wie "Waterboarding", also simuliertes Ertränken, oder Schlafentzug gekommen ist.

Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama im Januar 2009 scheint sich etwas zu ändern. Er verspricht, das Lager "innerhalb eines Jahres" zu schließen und alle Verfahren vor Militärtribunalen zu stoppen. Doch Obama bricht sein Versprechen. Im März 2011 schafft er sogar die rechtliche Grundlage, um Gefangene notfalls auch ohne Anklage auf unbegrenzte Zeit in Guantánamo festzuhalten. Militärtribunale, die nicht öffentlich tagen, werden wieder zugelassen. Im April 2011 veröffentlicht das Enthüllungsportal Wikileaks geheime US-Analysen, wonach in Guantánamo jahrelang viele Unschuldige inhaftiert wurden.

Stand: 11.01.2012

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