Stichtag

10. Dezember 1901 - Erste Verleihung der Nobelpreise

Alle Jahre wieder in den ersten Oktobertagen befällt einige Menschen ein ganz spezielles Fieber. Sehnsüchtig erwarten dann weltweit Naturwissenschaftler, Schriftsteller und Friedensaktivisten einen Telefonanruf aus Skandinavien - den Anruf, der ihr Leben krönt. Es sind die Tage, in denen seit 110 Jahren in Schweden und Norwegen die künftigen Träger der Nobelpreise bekannt gegeben werden.

Die meisten Kandidaten stehen seit Jahren oder gar Jahrzehnten auf den Nominierungslisten und nicht wenige große Geister warten ihr Leben lang vergeblich auf die erhebende Nachricht. Die Auserwählten aber reisen zwei Monate später, mit Frack bzw. Abendkleid im Gepäck, nach Stockholm oder Oslo, um den ersehnten Ritterschlag der Nobel-Akademie zu empfangen. Die erste Verleihungszeremonie findet am 10. Dezember 1901 in Stockholm statt, auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Tod des Preisstifters Alfred Nobel. Bis heute wurde dieses Datum beibehalten.

Vision vom Gleichgewicht des Schreckens

Denjenigen soll der Preis verliehen werden, "die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben", legt der kinderlose Dynamit-Erfinder Nobel 1895 testamentarisch fest. Das hoch dotierte Preisgeld, finanziert aus den Zinsen seines enormen Vermögens, soll zu gleichen Teilen an Koryphäen der Physik und Chemie sowie der Medizin (Physiologie), der Literatur und der Friedenssicherung gehen. Als Verleihungsort bestimmt Nobel seine Geburtsstadt Stockholm. Nur die Auswahl desjenigen, "der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere…hingewirkt hat", legt Nobel in die Verantwortung des norwegischen Parlaments in Oslo.

Immer wieder haben Historiker darüber spekuliert, ob ein schlechtes Gewissen den depressiv veranlagten Sprengstoff-Unternehmer zur Preisstiftung getrieben hat. In einem Brief an seine enge Freundin und spätere Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner zeigt sich Alfred Nobel auch als Visionär des Gleichgewicht des Schreckens: "Vielleicht werden meine Fabriken die Kriege schneller beenden als deine Friedenskongresse, denn wenn sich zwei gleich starke Armeen gegenseitig in einer Sekunde vernichten können, werden alle zivilisierten Nationen davor zurückschrecken…".

Angst vor jungen Träumern

Schwedens König mag weder auf seine Armee verzichten noch so viel Geld an Ausländer verteilen, immerhin das 20-fache eines Professoren-Jahresgehalts an jeden Preisträger. Das Überreichen der ersten Nobelpreis-Medaillen im pompösen Stockholmer Grand Hotel überlässt Oskar II. deshalb anfangs dem Kronprinzen. Zwei weltberühmte Deutsche sind unter den Laureaten der ersten Stunde; sie verleihen der Preis-Premiere die rechte Würde: Wilhelm Conrad Röntgen, Entdecker der nach ihm benannten Strahlung, und der Pionier der Diphterie-/Tetanus-Impfung, Emil von Behring. "Um dem Preis ein Renommee zu geben, hat man sich das Renommee der Belohnten geliehen", urteilt Peter Weingart, Nobelpreis-Experte von der Universität Bielefeld.

Wie von Alfred Nobel verfügt, unterliegen alle Entscheidungsprozesse der Kandidaten-Kür bis heute strengster Geheimhaltung. Erst nach 50 Jahren werden Akten zu rein wissenschaftlichen Zwecken freigegeben. Nicht im Sinne des Stifters ist allerdings die - aus Angst vor krassen Fehlurteilen – bevorzugte Preisvergabe an meist altersgraue Laureaten, deren Meriten bereits weit zurückliegen. "Ich würde einem Mann der Tat nichts hinterlassen", schreibt Alfred Nobel. "Er würde in Versuchung kommen, mit Arbeiten aufzuhören. Dagegen möchte ich gern Träumern helfen, die es schwer haben, sich im Leben durchzusetzen."

Stand: 10.12.2011

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