Stichtag

27. Oktober 2010 - Vor 25 Jahren: 1. nationaler Hurenkongress in Berlin

Das angeblich "älteste Gewerbe der Welt" ist – allen globalen Porno-Angeboten im Internet zum Trotz – noch immer ein lukratives Geschäft. Nach vorsichtigen offiziellen Schätzungen erwirtschaften in Deutschland etwa 800.000 Prostituierte jährlich einen Umsatz von mindestens zehn Milliarden Euro. Den größten Anteil am Profit streichen allerdings Zuhälter, Bordellbetreiber, Immobilienbesitzer und, dank hoher Steuereinnahmen, der Fiskus ein. Seit 30 Jahren kämpft die Prostituierten-Organisation "Hydra" dafür, den trotz sexueller Revolution noch immer bestehenden Bannkreis aus gesellschaftlicher Verachtung, wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozial nahezu rechtloser Stellung der "anschaffenden Frauen" zu durchbrechen.

Vorbild Mittelalter

1985 veranstaltet "Hydra" in Berlin den 1. nationalen Hurenkongress, der am 27. Oktober 1985 nach vier Tagen zu Ende geht. Hure lautet die selbst gewählte Berufsbezeichnung der Frauen des Gewerbes. "Ähnlich wie die Homosexuellen den Begriff 'schwul' wollen wir das Wort 'Hure' für uns positiv besetzen", erklärt eine Kongressteilnehmerin. Vorbilder für eine nicht durch Diskriminierung geprägte Form käuflicher Liebe finden die Prostituierten in der Vergangenheit. So genießen sie etwa in der Antike hohes Ansehen und nehmen sogar Einfluss auf Staat und Politik. Selbst im christlichen Mittelalter arbeiten Dirnen im Schutz städtischer Bordelle, mit geregeltem Einkommen und sozialer Sicherung im Alter. Erst durch die katholische Gegenreformation der Neuzeit werden Prostituierte moralisch geächtet und schutzlos an den Rand der Gesellschaft gedrängt – bis zum Ende des 20. Jahrhunderts.

Vom Hurenkongress zur Fachtagung Prostitution

Die in Berlin zusammengekommenen Huren aus sieben Bundesländern erleben in der Gruppe ein bislang unbekanntes Gefühl von Solidarität und Stärke. Selbstbewusst formulieren sie ihre vorrangigen Ziele: gesetzliche Anerkennung des Berufs Prostituierte, Änderung der einschlägigen Strafrechtsparagrafen zur Förderung der Prostitution und Aufnahme in die Sozialversicherung. Unterstützung erhalten die organisierten Huren von Frauenrechtlerinnen, Selbsthilfegruppen und öffentlichen Beratungsstellen.Ermutigt durch die Erfahrungen des ersten Berliner Treffens veranstaltet "Hydra" regelmäßig weitere Hurenkongresse, später in "Fachtagung Prostitution" umbenannt. Der Durchbruch gelingt 2002 mit der Novellierung des Prostitutionsgesetzes. Die Frauen können sich nun sozial- und krankenversichern und aus Bordellbetrieben werden legale Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen fest anstellen können. Ungünstig ist das neue Gesetz allerdings für zahlungsunwillige Freier: Ab sofort dürfen Huren das vereinbarte Entgelt für ihre Dienstleistung wie jeden anderen Lohn einklagen.

Stand: 27.10.10