Stichtag

15. September 2010 - Vor 45 Jahren: Die Rolling Stones in der Berliner Waldbühne

Im westfälischen Münster halten Anfang September 1965 die ordentlichen Bürger den Atem an: Ausgerechnet die Rolling Stones, die berüchtigtste aller Rock’n’Roll-Gruppen, will am 11. September in der Halle Münsterland ihre erste Deutschland-Tour starten. Gerade erst haben diese langhaarigen Engländer wieder so eine "Krawallplatte" herausgebracht, diesmal mit dem unerhörten Titel "(I can’t get no) Satisfaction". Stadtverwaltung, Polizei und Politiker setzen Krisenstäbe ein. Man hat Angst, die Kontrolle über die Jugend zu verlieren. Doch die Sorgen erweisen sich als unbegründet, in Münster wie an den folgenden Tagen in Essen, Hamburg und München. Trotz des riesigen Fan-Ansturms bleiben die befürchteten Krawalle aus, und die Stones selbst verhalten sich eher zahm. Alle Band-Hotels können ihre Zimmer anschließend problemlos weitervermieten.

Beatmusik mit Schlagstock-Einsatz

Doch dann kommt der 15. September, das Abschlusskonzert in der 22.000 Menschen fassenden Berliner Waldbühne. Es wird in die Rock-Geschichte eingehen, in den Boulevard-Zeitungen werden Schlagzeilen wie "Barbarei in Massenhysterie", "Hölle im Hexenkessel" oder "Gemetzel der Gammler" zu lesen sein.Trotz des damals exorbitanten Eintrittspreises von 20 Mark ist die Waldbühne ausverkauft. Einigen hundert Jungendlichen gelingt es, ohne Tickets bis in den Zuschauerraum vorzudringen. Sie setzen sich auf die reservierten Plätze, was in der aufgeheizten Masse zu ersten Prügeleien führt. Das anderthalbstündige Vorprogramm örtlicher Beat-Gruppen geht in einem ohrenbetäubenden Kreisch- und Pfeifkonzert unter. Als die Rolling Stones gegen 21.30 Uhr endlich ins Scheinwerferlicht treten, eskaliert die Lage. Etliche Rocker stürmen die Bühne und können von Ordnern und Polizei nur noch unter Schlagstockeinsatz zurückgedrängt werden. Kurzzeitig müssen Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Bill Wyman und Charlie Watts backstage in Deckung gehen.

Vier Stunden Kesselschlacht

Als die Bühne wieder frei ist, riskieren die Stones sichtlich eingeschüchtert einen zweiten Anlauf, Brian Jones angeblich mit einem Gummiknüppel in der Gesäßtasche. Doch wieder entern gewaltbereite Fans die Bühne, einem gelingt es sogar, Mick Jagger die Jacke herunterzureißen und in die Menge zu werfen. Entnervt kapitulieren die Rolling Stones vor dem Krawall und verlassen fluchtartig die Waldbühne. Nach nur drei Songs und insgesamt 25 Minuten Konzert-Dauer bricht nun endgültig das Chaos aus. Vier Stunden lang liefern sich tausende enttäuschte, aggressive Jugendliche im Kessel der Waldbühne eine erbitterte Schlacht mit der Polizei und verarbeiten dabei fast das gesamte Sitzmobiliar zu Kleinholz. In den umliegenden Stadtteilen geht die Randale weiter, etliche Autos und 17 S-Bahnzüge werden teilweise bis zur Fahruntauglichkeit demoliert.Am nächsten Morgen zieht die Polizei die Bilanz der Schreckensnacht: 87 Verletzte, 85 Festnahmen und ein geschätzter Sachschaden von 400.000 Mark. Die traditionsreiche Berliner Waldbühne erholt sich lange nicht von dem legendären Desaster. Völlig zertrümmert verfällt eine der schönsten Freilichtbühnen Europas, bis sie 1981 renoviert und zu neuem Leben erweckt wird.

Stand: 15.09.10