Attentat auf SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine

Stichtag

25. April 2010 - Vor 20 Jahren: Attentat auf Oskar Lafontaine in Köln

25. April 1990, Köln-Mülheim: Gegen 20.45 Uhr endet eine SPD-Wahlkampfveranstaltung in der Stadthalle. NRW-Ministerpräsident Johannes Rau und der Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, stehen noch auf der Bühne. Eine Frau - in weißem Kleid, mit blass geschminktem Gesicht und knallroten Lippen - nähert sich den beiden mit zwei Blumensträußen.

Den ersten überreicht sie Rau, den zweiten gibt sie Lafontaine. Ihm legt sie auch ein Autogramm-Album vor. Als Lafontaine zur Unterschrift ansetzt, zieht die Frau ein etwa 30 Zentimeter langes Messer und sticht ihm in die rechte Halsseite. Lafontaine bricht zusammen, verliert viel Blut und überlebt nur knapp: Das Messer hat die Halsschlagader lediglich um wenige Millimeter verfehlt. Die Ärzte operieren zwei Stunden lang.

Angst vor Außerirdischen

Die festgenommene Attentäterin will ihren Namen zunächst nicht nennen. Später stellt sich heraus, dass es sich um Adelheid Streidel handelt, eine ehemalige Klosterschülerin, die nach ihrer Scheidung 1980 in das Einfamilienhaus ihrer Eltern nach Bad Neuenahr gezogen ist und sich dort in einem Wohnschlafzimmer eingerichtet hat. Nach dem Umzug legt die gelernte Arzthelferin Löffel auf die Türklinken: Sie will hören, wenn Außerirdische in den Raum eindringen. 1986 schickt sie dem inhaftierten RAF-Mitglied Christian Klar Blumen in die Gefängniszelle. Die Polizei überprüft die Absenderin und stuft sie als harmlos ein. Im selben Jahr legt Streidel Feuer in einem Wohnhaus. Das Gericht erklärt sie für nicht schuldfähig. Die Frau, so die Gutachten, leide an paranoider Schizophrenie.

"Ich wollte einen töten"

"Ich wollte Herrn Lafontaine töten, damit ich vor Gericht gestellt werde", sagt Streidel dem Chef der Mordkommission, Reinhard Fischer. Sie habe ein Signal setzen wollen und ihm erklärt: "Es gibt in Europa Menschenfabriken und unterirdische OPs, wo Leute aus der Bevölkerung körperlich und geistig umfunktioniert werden. Dies geschieht mit Zustimmung der Politik." Jesus sei ihr erschienen und habe ihr die Hand geführt. "Ich wollte einen töten, Rau oder Lafontaine", sagt sie Fischer. Ihre Tat bereut Streidel nicht. Das Kölner Landgericht weist sie später für immer in eine psychiatrische Anstalt ein.
Lafontaine erholt sich rasch von dem Anschlag. Ein halbes Jahr später scheitert er bei der Bundestagswahl gegen Helmut Kohl (CDU). Acht Jahre später wird Lafontaine Bundesfinanzminister im Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) - bis er sich 1999 mit ihm überwirft. Später verlässt er die SPD und schließt er sich der neu gegründeten Linkspartei an. Rückblickend sagt Lafontaine, das Attentat habe ihn verändert. Er stelle sich immer die Frage: "Lebst du so, dass du dann, wenn es morgen vorbei ist, sagen kannst, du hast einigermaßen richtig gehandelt und richtig gelebt?"

Stand: 25.04.10