Stichtag

04. Oktober 2009 - Vor 50 Jahren: Allan Kaprow prägt den Begriff des "Happenings"

Am 4. Oktober 1959 strömt das Publikum zum Künstler Allan Kaprow in die New Yorker Reuben Gallery. Am Eingang bekommen die Besucher Kärtchen mit dem Programm in die Hand gedrückt - und müssen erstaunt feststellen, dass sie selbst Teil des Programms sein sollen. Denn auf den Kärtchen ist festgelegt, wann sich wer in welchem der drei Räume mit Installationen Kaprows aufzuhalten habe. Bei Kaprow soll das Publikum zum Teil des Kunstwerks werden. Wenn es gegangen ist, ist auch die Kunst verschwunden.

"18 Happenings in 6 Parts" nennt der 1927 in Atlantic City geborene Kaprow sein auf mehrere Tage verteiltes Spektakel - und gibt damit der jungen, nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchenden Kunstszene ein begriffliches Instrumentarium an die Hand. In den sechziger Jahren werden Happenings auch in Deutschland beliebt. In Wuppertal-Elberfeld etwa tun sich Bazon Brock, Nam June Paik, Joseph Boys und Wolf Vostell zu einer 24-Stunden-Aktion zusammen, wobei Brock ein Hegel-Zitat in eine Milchdose steckt, während Paik am Klavier schläft und Vostell unaufhörlich Stecknadeln in rohes, auf dem Boden liegendes Fleisch sticht, bevor er sich in einen Glaskäfig setzt: eine Anspielung an den Glaskasten im Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer und Verantwortlichen für die Judendeportationen Adolf Eichmann in Israel."Vergesst alle tradierten Kunstformen", rät Kaprow den Kollegen. "Malt keine Bilder, macht keine Poesie, schreibt keine Stücke." Und, vor allem: Geht auf die Straße, nicht ins Museum. Der Gegensatz von Kunst und Leben, ja: von Kunst und Alltag soll verwischen. Deshalb erfindet Karpow im öffentlichen Raum auch Happenings, die gar nicht als solche wahrgenommen werden. So lässt er Anfang der neunziger Jahre einen Galeristen jeden Morgen vor Öffnung der Galerietüren mit einem Gartenschlauch den Bürgersteig bewässern.

Zu dieser Zeit ist die Hochphase des Happenings schon längst vorbei. Bereits in den siebziger Jahren verebbt die Welle. Das hindert Kaprow nicht daran, bis zu seinem Tod 2006 im Sinn seiner Theorie einer "lebendigen", spontanen und gemeinsamen Kunst weiterzumachen. In einem Happening  etwa schickt er vier Menschengruppen in vier verlassenen Straßenzüge, damit sie fünfzehn Minuten vor Mitternacht in Trillerpfeifen pusten und Streichholzheftchen entzünden, bevor sich die Versammlung in alle Winde zerstreut; bei einer großen Retrospektive im Münchner Haus der Kunst 2006 können sich die Besucher im Internet zu einer Aktion anmelden.Die Idee des Flashmobs, der sich online zu einem scheinbar spontanen Treffen verabredet, um auf öffentlichen Plätzen mehr oder weniger sinnvolle Dinge zu tun, hat hier einen wesentlichen Ursprung.

Stand: 04.10.09