Brel im Brüssel von heute zu begegnen, ist nicht schwer. Sein Chanson "Bruxelles" läuft als Warteschleife in der städtischen Telefonanlage. Regelmäßig wird er zum bedeutendsten Belgier gewählt - von der frankophonen Bevölkerung. Für die flämischen Spießer seiner Heimatstadt hat er nur Hohn und Spott übrig, wie in seinem Lied "Les Bourgeois" nur allzu deutlich wird. Es ist genau die Kleinbürgerwelt, in die der Unternehmersohn Jacques Brel am 8. April 1929 hineingeboren wird und vor der er sein Leben lang auf der Flucht ist. Nach seiner Ausbildung arbeitet er zunächst in der Kartonagenfabrik des Vaters und heiratet mit 21 Jahren ein Mädchen aus seiner katholischen Jugendgruppe. Therese, genannt Miche, wird ihm künftig alle Probleme vom Leib halten und sein chaotisches Leben organisieren. Jacques wird sie betrügen, belügen, unwürdig behandeln - und sich doch nie scheiden lassen.
1953 bricht der dünne Schlacks mit den schiefen Zähnen im zu großen Mund mit seiner bürgerlichen Existenz. Er schreibt Chansons, nimmt zwei Lieder auf Platte auf und flieht aus der Enge Brüssels nach Paris, um als Sänger Karriere zu machen. Die ersten Jahre sind hart. Niemand hat auf einen dünnen, hässlichen Belgier mit drolligem Akzent gewartet. Die Großen des Chansons heißen Montand, Bécaud, Brassens. Aber Jacques Brel schreibt wie besessen, zieht durch die Varietés und kämpft sich langsam vom Vor- ins Hauptprogramm. 1958 gelingt ihm im legendären Pariser "Olympia" der Durchbruch. Brel hat seinen Stil gefunden und das Publikum liegt ihm zu Füßen, wo immer er von nun an auftritt. Brel trägt seine Lieder nicht vor, er durchlebt und durchleidet sie. Trampelnd, fuchtelnd, grimassierend, schmachtend. Oft zehn, zwölf Chansons ohne Pause hintereinander, bis zur totalen Erschöpfung. Niemand tritt so oft auf wie er, häufig sogar mehrmals am Tag. "Ein Orkan namens Brel", schreibt "Le Figaro" über den Berserker, der "Spiegel" nennt ihn "ungestüm wie ein singendes Tier".
Sein früher Rückzug von der Bühne im Jahr 1966 trifft die Chanson-Welt wie ein Schock. Der Kettenraucher Brel kann nicht mehr, hat sich körperlich wie kreativ verausgabt. Doch zur Ruhe kommt er nicht. Zuerst produziert er das Musical "Der Mann von La Mancha" und spielt selbst den Don Quixote. Dann wendet er sich dem Film zu, spielt Hauptrollen und führt Regie. Schließlich kauft Brel ein Schiff und will um die Welt reisen. Immer rastloser wird sein Leben, bis er schließlich zusammenbricht. Die Ärzte diagnostizieren Lungenkrebs. Mit Maddly, der letzten seiner zahllosen Geliebten, verkriecht sich Jacques Brel 1975 auf den Marquesas-Inseln in der Südsee. Völlig unerwartet taucht er im September 1977 noch einmal in einem Pariser Tonstudio auf und besingt seine letzte LP "Brel" mit zwölf eindringlichen Chansons. Beinahe mythisch verehrt und ständig vor Journalisten auf der Flucht, stirbt Jacques Brel am 9. Oktober 1978 in Paris mit nur 49 Jahren an Lungenkrebs. In seine Heimatstadt Brüssel will er nicht einmal als Toter zurück. Begraben wird Jacques Brel im Exil auf den Marquesas.
Stand: 08.04.09