Im Februar 1914 wird die damalige Fürstenstadt Neuwied zur Bühne eines kleinen, aber außergewöhnlichen Schauspiels europäischer Kriegspolitik. Im Residenzschloss derer zu Wied, einem der ältesten deutschen Adelsgeschlechter, empfängt der 37-jährige Prinz Wilhelm zu Parademarschklängen Seine Exzellenz Essad Pascha Toptani. Der Botschafter des albanischen Volkes wird begleitet von 17 Abgesandten aller dort ansässigen Balkan-Stämme. Mit feierlicher Miene erklärt Essad Pascha seinem Gastgeber: "Prinz Wilhelm, im Namen des albanischen Volkes trage ich Ihnen die Würde des Fürsten von Albanien an!" Der nicht unvorbereitete Prinz atmet staatsmännisch durch und antwortet: "Ich nehme an!" Bereits wenige Tage später ist seine Durchlaucht Wilhelm zu Wied, Rittmeister des 3. Garde-Ulanen-Regiments der preußischen Armee, unterwegs ins wilde Land der Skipetaren.
Diese auf den ersten Blick skurrile Thronvergabe ist das Ergebnis intensiver Spitzendiplomatie. Nach Ende des Balkankrieges 1912/1913 legen Österreich-Ungarn, Italien und die anderen Großmächte die Grenzen eines neuen Fürstentums Albanien fest. Der künftige Herrscher dieses von stammesgesellschaftlichen Strukturen zerrissenen Landes muss zwingend neutral sein; ein Albaner kommt deshalb nicht in Frage. Außerdem darf der Monarch keiner der in Albanien rivalisierenden Religionsgruppen angehören und nicht aus einem Land mit Eigeninteressen auf dem Balkan stammen. Damit scheiden Muslime, Katholiken und Orthodoxe ebenso aus wie Italiener, Österreicher, Griechen und Montenegriner. Wer bleibt übrig? Ein deutscher Protestant aus Neuwied, heftig unterstützt durch seine Tante, Königin Elizabeth von Rumänien. Ein entschiedener Gegner von Wilhelms Ambitionen ist allerdings Kaiser Wilhelm II., der seinen Vetter in Neuwied warnt: "Dass du mir ja nicht auf den Unsinn mit Albanien hereinfällst!".
Umsonst. Am 7. März 1914 betritt Wilhelm seine neue Heimat, von deren Existenz er erst wenige Monate zuvor erfahren hat. Von seinen Untertanen wird der fremde Fürst zunächst begeistert empfangen. Doch Wilhelm zu Wied, im Geiste durch und durch preußischer Militär, hat keine Ahnung von Politik und Diplomatie. Es gelingt ihm nicht, eine stabile Regierung zu installieren. Die Probleme seines Volkes bleiben ihm fremd. Schnell wachsen soziale Spannungen, die sich bald zu einem Aufstand muslimischer Bauern im ganzen Land ausweiten. Im Hintergrund ziehen derweil die Großmächte die Fäden und degradieren Wilhelm zur bloßen Marionette. Als dann am 28. Juli 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, haben sie andere Sorgen, als einem deutschen Fürsten irgendwo auf dem Balkan die Macht zu sichern. Nach nicht einmal 200 Regierungstagen muss Wilhelm Albanien Anfang September 1914 fluchtartig wieder verlassen, ohne das Geringste bewirkt zu haben. Bis zu seinem Tod im April 1945 lebt er bei den Verwandten in Rumänien im Exil. Eine förmliche Abdankung kommt Wilhelm zu Wied nie über die Lippen und noch sein Sohn Karl Viktor führt den Titel "Erbprinz von Albanien".
Stand: 07.03.09