Alle Jahre wieder, Ende März und Ende Oktober, dreht Europa kollektiv an der Uhr. Ob der Zeiger eine Stunde vor oder zurück gestellt wird, ist dabei für viele immer wieder eine verwirrende Rechenübung. Zu verdanken haben wir die Einführung der Sommerzeit der Ölkrise im Jahr 1973. Hauptsächlich in Europa werden damals erstmals Maßnahmen diskutiert, wie der boomende Energieverbrauch und damit die Abhängigkeit vom arabischen Öl gesenkt werden kann. Um das Sonnenlicht während der hellen Sommermonate besser zu nutzen, setzt Frankreich von 1977 an auf die Einführung der mitteleuropäischen Sommerzeit. Die meisten Länder der damaligen Europäischen Gemeinschaft folgen dieser offenbar einleuchtenden Idee. Auch die Bundesrepublik Deutschland möchte sich anschließen, steht aber vor einem Problem: Die DDR weigert sich mitzumachen.
Erst als Ost-Berlin im Oktober 1979 einlenkt, ist die Gefahr gebannt, dass an der innerdeutschen Grenze eine zusätzliche, eine Zeit-Mauer entsteht. Am 7. November 1979 segnet der Deutsche Bundestag die Verordnung über die Einführung der Sommerzeit ab. Ohne die heute weit verbreiteten funkgesteuerten Uhren erfordert das kollektive Zeigerrücken damals eine immense logistische Operation. Bundesweit sind mehr als 2.000 professionelle Zeitverschieber im Einsatz, um in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag 1980 alle öffentlichen Uhren eine Stunde zurück zu stellen. Trotzdem zeigen viele Chronometer noch tagelang die falsche Zeit an, was zu nicht unbeträchtlicher Verwirrung führt. Nicht nur den Deutschen fällt es in der Folge schwer, sich mit der neuen Zeitordnung anzufreunden. Schon nach wenigen Jahren zeichnet sich ab, dass die von Beginn an vorhandene Kritik an der Sommerzeit durchaus berechtigt ist. So wird die erhoffte Stromersparnis für Beleuchtung allein "durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch Vorverlegung der Hauptheizzeit überkompensiert", wie die Bundesregierung 2005 offiziell eingesteht.
Unumstritten ist heute, dass nicht nur die Energie-Bilanz durch den willkürlichen Eingriff ins Zeitgefüge negativ beeinflusst wird. Verkehrsunfälle und Herzattacken nehmen nach der Zeitumstellung im Frühjahr signifikant zu – Folge eines Mini-Jetlags, der zu Konzentrationsstörungen und Tagesmüdigkeit führt. Ein deutliches Urteil zur Sommerzeit fällt Till Roenneberg, renommierter Chronobiologe an der Universität München: "Es gibt wirklich nichts Blödsinnigeres, denn wir müssen erkennen, dass alles, was bei uns im Körper abläuft, von einer inneren Uhr gesteuert wird." Signalgeber für unseren inneren Rhythmus ist einer kleiner Kern von Gehirnzellen, der so genannte suprachiasmatischen Nukleus (SCN). Dieser SCN reagiert ausschließlich auf den natürlichen Tag-/Nacht-Lichtwechsel und ist durch äußere Eingriffe in die Zeitmessung nicht zu synchronisieren. Doch trotz aller erwiesenen negativen Auswirkungen wird uns die Sommerzeit noch lange erhalten bleiben. Ende 2007 verkündet die EU-Kommission in Brüssel, "dass die Sommerzeitregelung … nach wie vor angemessen ist."
Stand: 07.11.09