Im Mai 1923 plakatieren deutsche Blumenläden ihre Schaufenster mit eingängigen Parolen. "Ehret die Mutter" steht da zwischen Rosen, Tulpen und Gladiolen. "Denk heute deiner Mutter Güte, bring ihr die frische Maienblüte". Organisiert hat den Appell ans kindliche Gewissen der Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber. Dessen Geschäftsführer Rudolf Knauer hat klare Vorstellungen vom Muttertag. "An diesem Tag wollen wir unser Heim festlich schmücken", sagt Knauer. "Im trauten Kreis unserer Lieben wollen wir der Mutter aussprechen, was unser Herz für sie bewegt. Wir wollen ihr aufs Neue geloben, in Treue und Hingebung zu ihrer Freude und zu ihrer Ehre unser Tagwerk zu tun". Dass dieses Gelöbnis durch einen bunten Strauß von Blumen zur Sprache kommt, ist für Knauer Ehrensache.
Als der Muttertag in Deutschland eingeführt wird, ist er in vielen anderen Nationen bereits seit Jahren eine feste Größe. Dank der sozialen Aktivistin Anna Marie Jarvis wird er 1914 in den USA nationaler Feiertag. Nach dem Ersten Weltkrieg folgen Österreich und die skandinavischen Länder. 1933 erkennen die Nationalsozialisten im "Tag der Mutter" das propagandistische Potenzial. Das "Ehrenkreuz der deutschen Mutter" erhalten an diesem Tag fortan Reichsbürgerinnen zugesprochen, die dem Führer möglichst viele Kinder geschenkt haben oder deren Söhne oder Männer auf dem Feld der Ehre gefallen sind.
Anna Marie Jarvis ist ihr Muttertag da schon längst ein Dorn im Auge. "Ich wollte, dass es ein Tag des Nachdenkens ist und nicht des Profits", lautet ihr Resümee. Schuld daran seien einzig und allein die Blumenhändler, die "mit ihrer Habgier eine der edelsten, reinsten Bewegungen und Feierlichkeiten unterlaufen". Jarvis' Versuch, den Festtag einfach wieder abzuschaffen, ist nicht von Erfolg gekrönt. Noch immer wird der Muttertag in vielen Ländern begangen, in Deutschland am zweiten Sonntag im Mai. Sehr zur Freude der Mütter. Und vielleicht noch etwas mehr zur Freude von Blumenhändlern.
Stand: 11.05.08