Stichtag

13. Januar 2008 - Vor 115 Jahren: "Independent Labour Party" wird gegründet

Sozialismus in Großbritannien, einer der ältesten Monarchien der Welt? Man kann es ja mal versuchen. Ende des 19. Jahrhunderts gehören etwa 75 Prozent der Bevölkerung zur Arbeiterklasse. Auch wenn nicht alle Arbeiter vom Sozialismus träumen. Im Parlament sitzen zwei Parteien: die Konservativen und die Liberalen. Die meisten Arbeiter sind froh, dass die Liberalen ein paar gewerkschaftliche Errungenschaften durchsetzen. Doch einigen Aktivisten ist das zu wenig. Sie wollen ihr eigenes Forum im Parlament - in Form einer Partei. Am 13. Januar 1893 kommen Gewerkschafter und Sozialisten der ganzen Insel im nordenglischen Bradford zum Gründungskongress der "Independent Labour Party " (ILP) zusammen.

Der Kongress verläuft harmonisch, obwohl viele unterschiedliche Gruppen anwesend sind - wie beispielsweise die marxistische Sozialdemokratische Föderation und die Fabianer, die die Gesellschaft nicht revolutionär, sondern durch Unterwanderung der Oberschicht verändern wollen. Um die Gewerkschaften positiv zu stimmen, grenzt man sich vom dogmatischen Sozialismus ab. Das Parteiprogramm sieht aber dennoch die Überführung aller Produktionsmittel in kollektives Eigentum vor. Zum Parteivorsitzenden wird James Keir Hardie gekürt, ein schottischer Sozialist und ehemaliger Minenarbeiter, der bereits ein Jahr zuvor als erster unabhängiger Arbeitervertreter ins englische Parlament eingezogen ist. "Die 'Independent Labour Party' ist ein kleiner Schritt auf dem Weg zur großen 'Labour Party', die um die Jahrhundertwende entstanden ist, ein taktischer Schachzug", sagt Christiane Eisenberg, Professorin am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin.

Zwei Jahre später hat die ILP  35.000 Mitglieder, überwiegend Facharbeiter und Angehörige der unteren Mittelschicht. Doch dann gerät die Partei in eine Krise: Bei den allgemeinen Wahlen 1895 wird keiner ihrer 28 Kandidaten gewählt, die Mitglieder laufen ihr davon, Mitgliedsbeiträge werden nicht bezahlt. Hardie und seine Anhänger konzentrieren sich daraufhin auf die Arbeit auf lokaler Ebene: "Wollt ihr Wohnungen und Badehäuser? Die Einführung des Achtstunden-Tages? Die Übernahme der Gas- und Wasserwerke durch die Gemeinde?" Kommunalwahl um Kommunalwahl rücken sie in die Gemeinderäte vor. Um ins nationale Parlament zu gelangen, müssen allerdings größere Wählerkreise erschlossen werden. Im Februar 1900 gründen deshalb Vertreter der Gewerkschaften, der ILP, der Sozialdemokratischen Föderation und der Fabian-Gesellschaft ein Komitee für die parlamentarische Vertretung der Arbeiterschaft, das "Labour Representation Committee". Daraus entsteht die "Labour Party ", wie sie ab 1906 heißt. Die hat mit Sozialismus nicht mehr viel zu tun: "Wir erkennen bereitwillig an, dass die Tage der sozialen Revolution vorüber sind", sagt ILP-Chef Hardie.

Stand: 13.01.08