Mit dem Kaiserreich bekommt Deutschland eine einheitliche Währung - und der Frankfurter Münzbeamte Friedrich Ernst Roessler den Auftrag, die alten Gulden und Taler einzuschmelzen. Aus dem wieder gewonnenen Gold und Silber sollen die neuen Mark- und Pfennigstücke geprägt werden. Für Roessler ein Riesengeschäft. Seine 1843 aufgebaute Scheideanstalt wird am 28. Januar 1873 als Aktiengesellschaft "Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt" (Degussa) im Handelsregister von Frankfurt am Main eingetragen. Durch die Umwandlung in die AG verschafft sich Roessler das nötige Investitionskapital. Als der Auftrag 1879 erledigt ist, konzentriert sich die Degussa auf das von Sohn Heinrich Roessler entwickelte Glanzgold-Verfahren, das zur Verzierung von Glas und Porzellan eingesetzt wird. 1882 eröffnen die Roesslers in New York ein kleines Labor, wenige Jahre später sind sie die größten Chemikalien-Importeure in den USA.
Der Erste Weltkrieg bringt das Auslandsgeschäft der Degussa fast zum Erliegen. Mit dem Kriegseintritt der USA 1917 verliert der Konzern dort sämtliche Vermögenswerte. Vorstandsmitglied Fritz Roessler bedauert: "Wir hatten leider keine Betriebe, die in größerem Umfang zur Kriegsindustrie verwendbar waren." Das ändert sich im Zweiten Weltkrieg. Die Degussa liefert Cyanid für die Plexiglas-Kanzeln der Kampfflugzeuge, Gasmasken, Wasserstoffperoxid für den Antrieb von Torpedos, U-Booten und V-Raketen, Metalllegierungen für Propeller und Motorteile, Ruß für die Reifen der Wehrmachtsfahrzeuge. Große Mengen des Raubgoldes, das die Deutschen überall in Europa den Juden wegnehmen, gehen durch die Schmelzöfen der Degussa. Auch bei der Enteignung jüdischen Besitzes, der "Arisierung", beteiligt sich die Firma. Die Degussa und ihre Töchter beschäftigen tausende von Zwangsarbeitern. Sie mieten zusätzlich noch KZ-Häftlinge und Ghettobewohner von staatlichen Stellen. Die Degussa Tochter Degesch ("Deutsche Gesellschaft zur Schädlingsbekämpfung") liefert mehrere Tonnen des Blausäure-Gases "Zyklon B", mit dem in den Konzentrationslagern mehr als eine Millionen Menschen ermordet werden.
Nach Kriegsende besteht die Degussa weiter, verliert allerdings wichtige Werke im Osten. Das Chemieunternehmen beteiligt sich einige Jahre an der Erforschung der Atomenergie. Doch es sind Produkte für die Konsumgüterindustrie, die den erneuten Erfolg bringen: Plexiglas, Düngemittel, Füllstoffe. 1986 trennt sich Degussa von der Degesch. Auch die Pharma-, Dental- und Edelmetallbereiche werden verkauft. Erst Mitte der 1990er Jahre beginnt die Degussa, ihre Rolle im "Dritten Reich" zu untersuchen. Der US-Historiker Peter Hayes bekommt den Auftrag, die Firmengeschichte zu durchleuchten. Sein 2004 veröffentlichter Bericht trägt den Untertitel: "Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft". Heute ist die einstige Scheideanstalt Teil des 2007 entstandenen Evonik-Konzerns und auf Spezialchemie ausgerichtet.
Stand: 28.01.08