Ende der 70er Jahre ist es für die Schweizer Uhrenindustrie fünf vor zwölf. Ihr weltweiter Marktanteil, einst stolze 70 Prozent, beträgt gerade noch zehn Prozent. Den preiswerten Quarzuhren der aufstrebenden japanischen Konkurrenz können die Jahrhunderte alten Manufakturem mit ihrer teuren Präzisionsware nichts entgegensetzen. Um Traditionsmarken wie Longines, Tissot oder Omega vor dem sicheren Untergang zu retten, rufen die Gläubigerbanken einen branchenfremden Unternehmensberater aus Zürich zu Hilfe. Alleiniger Herrscher über gut drei Viertel der Schweizer Uhrenproduktion wird Nicolas Hayek, Sohn eines US-Professors und einer Libanesin, geboren in Beirut, studierter Mathematiker und Physiker. Das "Handelsblatt" nennt ihn einen egomanischen Tausendsassa.
Hayek durchforstet sein marodes Reich und stößt dabei auf die bislang wenig geschätzten Pläne zweier junger Ingenieure. Sie haben eine Uhr entwickelt, die nicht mehr wie die Traditions-Chronometer aus über 150 Teilen besteht, sondern nur noch aus 51. Und diese Teile sollen nicht von Uhrmachern, sondern von Industrierobotern gefertigt und montiert werden. Nicolas Hayek erkennt das Potential dieser Idee und erweist sich als genialer Marketingstratege. Er kreiert eine quietschbunte Plastikuhr mit poppigem Design, garantiert dazu die sprichwörtliche Schweizer Qualität und bringt sie zum Schnäppchenpreis von 50 Franken auf den Markt: die Swatch ist geboren. Begleitet von einer bombastischen Werbekampagne wird sie am 1. März 1983 in Zürich der Öffentlichkeit präsentiert. Vom Start weg geht die Swatch ab wie eine Rakete. Nach zwei Jahren sind bereits vier Millionen Stück verkauft, 1988 sind es 50 Millionen.
Mit Hilfe limitierter Künstler-Editionen und zweimal jährlich wechselnder Kollektionen erfindet Nicolas Hayek den zuvor unvorstellbaren Trend zur Zweit- und Drittuhr und zum Sammler-Objekt. Mit spektakulären PR-Aktionen gibt er dem Swatch-Hype ständig neue Nahrung. So lässt er an Hochhäusern in Frankfurt und Tokio gigantische, 13 Tonnen schwere Exemplare aufhängen. "Die Swatch hat eine Botschaft: Höchste Qualität, niedrigster Preis, Provokation und Spaß am Leben", erklärt der Retter der Schweizer Uhrenindustrie. Zur Feier der 100millionsten Uhr veranstaltet Hayek 1992 am Matterhorn ein bombastisches "Swatch the World Festival". Seine Landsleute verehren den inzwischen 80-jährigen Patriarchen der Swatch Group (Umsatz 2007: knapp sechs Milliarden Franken) als Nationalhelden. Ans Aufhören denkt Nicolas Hayek noch lange nicht. Gerade erst hat er ein Umwelt-Unternehmen gegründet, das in Wasser- und Solarenergie investiert. Die große Medien-Show dürfte wieder garantiert sein: im Verwaltungsrat sitzt "the sexiest man alive", Hollywood-Star George Clooney.
Stand: 01.03.08