Am Karfreitag 1865 erschießt ein Attentäter den amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln. Der erste, der davon in Europa erfährt, ist Paul Julius Reuter, der Gründer der Nachrichtenagentur Reuters in London. Sein Amerika-Korrespondent ist unmittelbar nach Bekannt werden der Tat zum Hafen von New York gerast, hat aber das Postschiff nach Europa verpasst. Deshalb chartert Korrespondent McLean eine Barkasse und holt den Dampfer ein. Er wirft die in einem Kanister deponierte Meldung einem Matrosen an Bord zu. Das Postschiff fährt von New York nach South Hampton - an der irischen Küste vorbei. Vor Irland werfen die Matrosen den wasserdichten Kanister über Bord. Reuters Agenten fischen ihn auf und telegraphieren die Nachricht nach London - über eine Leitung, die Reuter zwei Jahre zuvor auf eigene Rechnung gelegt hat. Acht Stunden bevor das Postschiff anlegt, hält Reuter die Neuigkeit in den Händen. Dem ersten großen Coup folgen etliche andere: Reuters meldet 1918 als erste Agentur das Ende des Ersten Weltkrieges, 1956 den Bruch Chruschtschows mit Stalin und 1961 den Bau der Berliner Mauer.
Geboren wird der Rabbinersohn Reuter am 21. Juli 1816 als Israel Beer Josephat in Kassel. Später nimmt er den christlichen Glauben und den Namen Paul Julius Reuter an. Nach dem Tod seines Vaters kommt der 13-Jährige zur Verwandtschaft nach Göttingen, wo er eine Banklehre macht. Dort lernt er auch den Mathematiker und Physiker Karl Friedrich Gauß kennen, der an der Universität mit elektromagnetischen Nadel-Telegraphen experimentiert. 1848 geht Reuter nach Paris und arbeitet als Übersetzer im Nachrichtenbüro von Charles Havas. Reuters Versuch, sich neben Havas selbstständig zu machen, scheitert. Er zieht nach Aachen, wo die preußische Telegraphenleitung von Berlin endet - und bereits sein Konkurrent Bernhard Wolff sitzt. Doch diesmal setzt sich Reuter durch: Mit Brieftauben schließt er die Telegraphen-Lücke zwischen Aachen und Brüssel und wird der schnellste Übermittler von Informationen aus Frankreich und Preußen. Die Verlegung neuer Leitungen macht diesen Übertragungsweg allerdings schon nach einem Jahr überflüssig. Werner von Siemens gibt Reuter den Rat, nach London zu gehen. Dort etabliert sich "Reuter's Office " ab 1851 endgültig.
Das Geschäft seines Lebens macht Reuter, als er 1865 mit Hilfe von Sponsoren eine Telegrafenleitung von England nach Norderney verlegen lässt. Nur vier Jahre später verkauft er die Kabelrechte an die britische Regierung für 726.000 Pfund - das sechsfache von dem, was er investiert hat. 1870 schließen Reuter, Havas und Wolff eine Art Kartellvertrag, der die Welt Nachrichten-Sphären aufteilt. Reuters erhält das Vereinigte Königreich, die USA und den Fernen Osten. Als Paul Julius Reuter - inzwischen von Königin Victoria zum Baron ernannt - am 25. Februar 1899 in Nizza an Herzversagen stirbt, ist die Nachricht innerhalb weniger Stunden in der ganzen Welt bekannt.
Stand: 21.07.06