Stichtag

19. August 2006 - Vor 15 Jahren: Putschversuch gegen Michail Gorbatschow

Morgens um 5.38 Uhr verbreitet die amtliche Nachrichtenagentur TASS eine erste Erklärung: "Im Zusammenhang mit der gesundheitsbedingten Unfähigkeit von Michail Sergejewitsch Gorbatschow, seine Pflichten als sowjetischer Präsident wahrzunehmen, habe ich vom 19. August 1991 auf Grundlage der Verfassung der UdSSR die Pflichten des Präsidenten der Sowjetunion übernommen. Gennadij Janajew, Vize-Präsident." Doch Gorbatschow ist nicht krank - er ist vielmehr an seinem Urlaubsort auf der Halbinsel Krim unter Hausarrest gestellt worden. Bei dem Putschversuch von Militärs, Geheimdienstlern und Alt-Kommunisten hat ein so genanntes Notstandskomitee die Macht übernommen. Zu den acht Männern gehören unter anderem Ministerpräsident Walentin Pawlow, Verteidigungsminister Dimitrij Jasow und Innenminister Boris Pugo.

Das Notstandskomitee begründet den Staatsstreich damit, die Reformpolitik Gorbatschows sei "in eine Sackgasse geraten", das Land sei "unregierbar" geworden. Anfang der 90er Jahre hungern in der Sowjetunion Menschen wegen Missernten, der Warschauer Pakt löst sich auf und die baltischen Länder sowie andere Regionen der UdSSR streben nach Unabhängigkeit. Gorbatschow hat als Präsident der Sowjetunion zwar einerseits mit seiner Politik der Offenheit ("Glasnost") und der Umgestaltung ("Perestroika") für mehr Privatwirtschaft und Demokratie gesorgt, andererseits wird er aber auch für den Niedergang verantwortlich gemacht. Das Notstandskomitee ruft den Ausnahmezustand aus. In Moskau gehen Panzer in Stellung - auch vor dem Weißen Haus, dem Amtssitz von Boris Jelzin, Präsident der Teilrepublik Russland. Allerdings haben die Putschisten vergessen, Jelzin festzusetzen. Er bricht seinen Urlaub außerhalb Moskaus ab, fährt zu seinem Amtssitz, steigt auf einen Panzer und fordert Widerstand gegen die Putschisten: "Boris Jelzin steht auf der Seite Gorbatschows, das ist ganz klar." Er ruft den Generalstreik aus.

Tausende versammeln sich vor dem Weißen Haus. Die Soldaten einer Panzerdivision erklären sich am Abend mit Jelzin solidarisch. Doch in der zweiten Nacht greifen Militärs die Menge an. Zwei Demonstranten werden von Panzern überrollt, einer erschossen. Die Panzer fahren sich allerdings an den eilig errichteten Barrikaden fest. Drei Tage nach dem Staatsstreich werden die Truppen wieder zurückgezogen und die Mitglieder des Notstandskomitees verhaftet. Jelzin und die Demonstranten haben gesiegt. 72 Stunden nach seiner Entmachtung landet Gorbatschow wieder als Präsident in Moskau. Über die Verschwörer sagt er: "Es waren Männer, die ich selbst gefördert und denen ich vertraut habe." Gorbatschow dankt ausdrücklich Jelzin für seinen Widerstand. Am 25. Dezember 1991 gründet sich die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und die Sowjetunion hört auf zu existieren. Für Gorbatschow ist es der Schlusspunkt seiner politischen Laufbahn.

Stand: 19.08.06