Stichtag

20. August 2006 - Vor 10 Jahren: Rio Reiser stirbt in Fresenhagen

Zahlreiche Musiker haben seine Lieder nachgesungen: von Grönemeyer bis Lindenberg, von Nena bis "Echt", von "Wir sind Helden" bis zu den "Söhnen Mannheims". Rio Reiser ist ein frühes Beispiel für kompromisslose deutschsprachige Rockmusik. Es begann 1970 mit der der Single "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Auch seine Band hat einen deutschen Namen. Sie ist nach einem Zitat des Troja-Entdeckers Heinrich Schliemann benannt: "Ton Steine Scherben". Die "Scherben"-Songs werden nach der 68er Revolte zu Hymnen der linksradikalen Gegenkultur: "In jeder Stadt und in jedem Land, schreibt die Parole an jede Wand: Keine Macht für niemand!" Musik und Aktion gehören Anfang der 70er Jahre zusammen. Nach "Scherben"-Konzerten werden die ersten Häuser besetzt. Die Band produziert ihre Platten selbst, lebt in einer Kommune und versteht sich als "Speerspitze der Revolution". Reisers Absicht: "Wir wollen mit der Musik, die wir machen, die Menschen überzeugen, dass sich alle Menschen von ihren Unterdrückern befreien."

Rio Reiser wird als Ralph Möbius am 9. Januar 1950 in Berlin geboren. Aus beruflichen Gründen ziehen seine Eltern oft um: Oberbayern, Nürnberg, Mannheim und schließlich Nieder-Roden bei Frankfurt am Main. Ralph bricht die Schule ab und beginnt eine Fotografenlehre, die er ebenfalls nicht beendet. Als Autodidakt bringt er sich Klavier, Gitarre und Cello bei. Mit 17 Jahren zieht er 1967 zu seinen beiden älteren Brüder nach Berlin, wo er für deren Beatoper die Musik komponiert. In dieser Zeit ändert er seinen Namen in Rio Reiser - in Anlehnung an den mehr als 200 Jahre alten Roman "Anton Reiser" von Karl Philipp Moritz. Zusammen mit seinen Freunden Ralph Seitz (alias Lanrue), Kai Sichtermann und Wolfgang Seidel gründet er "Ton Steine Scherben". Als die Revolution auf sich warten lässt, ziehen Reiser und die "Scherben" Mitte der 70er Jahre auf einen Bauernhof im nordfriesischen Fresenhagen. Dort stößt die heutige Grünen-Vorsitzende Claudia Roth zu den selbsternannten "Radieschenkommunisten" - als Managerin der kargen Finanzen. Zehn Jahre geht das gut, doch 1985 sind die "Scherben" pleite. Den Wechsel zur kommerziellen Plattenindustrie lehnen sie ab und lösen sich auf.

"Rio hat gesagt: Wenn es die 'Scherben' nicht mehr gibt, dann will ich Popstar werden", erinnert sich Claudia Roth. Tatsächlich gelingt Reiser mit seiner Platte "Rio der Erste" ein furioser Start in die Solokarriere - dank Liedern wie "König von Deutschland", "Für immer und Dich" und "Junimond". Doch dieser Erfolg lässt sich nicht wiederholen. Reiser zweifelt an seiner Popkarriere und vermisst die "Scherben": "Plötzlich sich allein mit einer Minibar in einem Hotelzimmer wieder zu finden, da muss man sich erst daran gewöhnen - und ich habe mich bis heute nicht daran gewöhnt." Am 20. August 1996 versagt nach einer kräftezehrenden Solo-Tournee sein Kreislauf. Rio Reiser stirbt im Alter von 46 Jahren in Fresenhagen.

Stand: 20.08.06