Stichtag

29. September 2006 - Vor 20 Jahren: Helmut Qualtinger stirbt in Wien

Sein Vater, ein Wiener Gymnasiallehrer für Mathematik, Physik und Chemie, ist ein begeisterter Nationalsozialist, als Hitler 1938 Österreich dem Deutschen Reich "anschließt". Damals ist Helmut Qualtinger zehn Jahre alt. Der Abscheu gegenüber dem spießbürgerlichen Faschismus seiner Umgebung prägt ihn sein Leben lang. Qualtinger tingelt als Lokalreporter, Filmkritiker und Lektor durch Europa, gründet 1946 eine Studentenbühne, in der er selbst Hauptdarsteller, Regisseur und Beleuchter ist. In den 50er Jahren spielt er Kabarett, unter anderem zusammen mit Carl Merz und Georg Kreisler. Die Programme der Gruppe heißen "Brettl vorm Kopf", "Dachl überm Kopf" (als die Gruppe eine eigene Bühne bekommt), "Glasl vorm Aug" (als das Fernsehen überträgt) oder "Hackl im Kreuz" (als sie sich Anfang der 60er Jahre auflöst). Berühmt wird Qualtinger mit seinen Auftritten als "Der Herr Karl", in denen er einen Wiener Spießbürger mit Hitler-Bärtchen darstellt, der als gemütlicher und gnadenloser Opportunist alle Systemwechsel übersteht.Später gibt Qualtinger das Kabarett weitgehend auf. Auf Tourneen liest er aus Karl Kraus' Anti-Kriegsstück "Die letzten Tage der Menschheit" und aus Hitlers "Mein Kampf". Er spielt und führt Regie an der Wiener Volksbühne und am Hamburger Thalia-Theater. Von 1973 bis 1980 lebt er in Hamburg und lernt dort seine zweite Frau, die Schauspielerin Vera Borek, kennen. Qualtinger spielt in zahlreichen Fernseh- und Kino-Filmen mit, so in der Kafka-Verfilmung "Das Schloss" und in der dreiteiligen "Alpensaga". 1971 erhält er die Goldene Kamera für seine Rolle in "Das falsche Gewicht".

Qualtinger lebt am Rande der bürgerlichen Normalität. Er kleidet sich nachlässig, fährt kein Auto, ist ein Einzelgänger. Georg Kreisler erzählt in einer Erinnerung, wie Qualtinger die Bild-Zeitung verklagt, weil sie über seine Alkoholprobleme berichtet hatte. Zur Hauptverhandlung erscheint Qualtinger volltrunken. Nicht, dass man ihn als Trinker bezeichnete, findet er unehrenhaft, sondern dass man Trinker als unehrenhaft darstellt. Seine letzte Filmrolle spielt der große, korpulente Mann 1985: den Kellermeister Remigio de Varagine in "Der Name der Rose". Im Mai 1986 erleidet Qualtinger innere Blutungen. Am 29. September stirbt er in einem Wiener Krankenhaus an seiner kranken Leber, gut eine Woche vor seinem 58. Geburtstag.

Stand: 29.09.06