Stichtag

20. März 2005 - Vor 10 Jahren: Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio

"Der Anschlag ereignete sich am Montag, dem 20. März 1995, einem wunderschönen, klaren Frühlingsmorgen", schreibt der japanische Schriftsteller Haruki Murakami in seinem Buch "Untergrundkrieg". "Noch ist es ein Tag wie jeder andere. Bis in verschiedenen U-Bahnen fünf Männer mit den geschärften Spitzen ihrer Schirme ein paar mit einer sonderbaren Flüssigkeit gefüllte Plastikbeutel perforieren." Die Beutel enthalten das tödliche Nervengift Sarin. In der Tokioter U-Bahn sterben zwölf Menschen. Mehr als 5.000 werden zum Teil schwer verletzt. Zunächst ist unklar, wer hinter dem Anschlag steckt. Doch schon bald fällt der Verdacht auf die Sekte "Aum Shinrikyo" und dessen Gründer Shoko Asahara.Asahara beginnt Anfang der 1980er Jahre mit einer Yoga-Gruppe. Er geht nach Indien, um seine Meditationstechniken zu verbessern - dort hat er angeblich die Erleuchtung. Er gründet "Aum Shinrikyo", setzt sich an die Spitze der Sekte und wird Ende der 1980er Jahre als religiöser Führer durch den Dalai Lama bestätigt. Asahara erhält von ihm den Auftrag, den Buddhismus in Japan wieder aufzubauen. Die Aum-Sekte ist allerdings eine wirre Mischung aus allen möglichen Religionen. Ein bisschen Buddhismus, etwas Hinduismus, dazu noch ein wenig Taoismus und Christentum. Asahara sieht sich als die Reinkarnation Buddhas sowie als Verkörperung von Shiva und Christus.

Die Gruppe versteht sich als Endzeitsekte: Ihrer Lehre zufolge sei die Welt "böse" und müsse "von satanischen Elementen  gereinigt" werden. "Das versuchte man mit diesem Anschlag", sagt Rüdiger Hauth, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der evangelischen Kirche in Westfalen. Die verquere Logik laute: "Wenn alles außerhalb der Sekte vernichtet wird, ist die Erde gereinigt und paradiesisch." Das Ende der Welt prophezeit Guru Asahara zunächst für November 1995. Bis dahin sollen seine Jünger für die letzte Schlacht tonnenweise das Giftgas Sarin produzieren. Als er von einer geplanten Polizeidurchsuchung hört, zieht Asahara den Vorgeschmack auf den Weltuntergang kurzfristig vor: Der Anschlag auf das U-Bahn-Netz in Tokio findet schon im März statt. Nach dem Attentat werden viele Sektenmitglieder verurteilt. Shoko Asahara und andere Anführer erhalten die Todesstrafe. Die Aum-Sekte wird im März 1996 aufgelöst, formiert sich jedoch unter dem Namen "Aleph" neu und hält an ihren Lehren fest.

Stand: 20.03.05