Um in Deutschland nach ganz unten zu kommen, braucht Günter Wallraff ein schwarzes Haarteil. Jeden Morgen setzt er das Toupet auf den Kopf und dunkle Kontaktlinsen in die Augen. Die Verkleidung und ein antrainiertes gebrochenes Deutsch verwandeln Wallraff in den Türken Ali Levent, der bei verschiedenen großen Firmen anheuert, um zu erfahren, wie man sich fühlt als "Gastarbeiter", in einem Arbeitsmarkt, in dem 200.000 Illegale beschäftigt sind. Den Schnauzer hat Wallraff sich wachsen lassen, der Rest ist Maskenbildnerei. "Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren", ist seine Devise. "Man muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden."Zwei Jahre lang schreibt Wallraff auf, was er erlebt. Wie man ihn als "Dreckarbeiter" beschimpft zum Beispiel. Wie er auf einem Bauernhof wie ein Tier ohne Ausgangsrecht gehalten wird. Wie er bei einer amerikanischen Imbisskette die Tische mit dem Klolappen wischen und die Toilette mit einem Grillschaber säubern muss. Wie er bei Medikamentenversuchen großer Pharmaunternehmen seine Gesundheit riskiert. Oder wie seine Kollegen von Leiharbeiterfirmen gezwungen werden, für einen Hungerlohn bei einem Stahlkonzern bis zu 72 Stunden schlaflos durchzuschuften. Seine Undercover-Recherchen bringt Wallraff als Buch heraus, benannt nach jenem Ort, an dem er angekommen ist in Deutschland: "Ganz unten".
Als Wallraffs Reportagesammlung am 21. Oktober 1985 erscheint, katapultiert sie ihren Autor mit einem Schlag in den Bestsellerlisten nach ganz oben. Sein Verlag Kiepenheuer & Witsch kommt mit dem Drucken gar nicht nach. Insgesamt wandern vier Millionen deutschsprachige Exemplare über den Ladentisch, in 33 Sprachen wird Wallraffs Anklage übersetzt. Später kommt ein Zusammenschnitt seiner Filme heraus, die er heimlich mit der Kamera in der Aktentasche aufgenommen hat. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nennt Wallraff deshalb den "Medienstar der sozialen Empörung". Aber der Erfolg gibt dem Autor recht: In NRW werden die Räume von Leiharbeiterfirmen durchsucht, mehrere Prozesse werden angestrengt. Viele Unternehmen überdenken ihre Beschäftigungspolitik. Seit "Ganz unten" ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt vieles besser geworden.Stand: 21.10.05