Stalingrad ist ein entscheidender Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg: Die Rote Armee fügt der Wehrmacht eine vernichtende Niederlage zu. Zweifel am deutschen "Endsieg" kommen auf. Propagandaminister Joseph Goebbbels gibt Durchhalteparolen aus: Rund zwei Wochen nach der Kapitulation der sechsten Armee ruft er im Februar 1943 in seiner Rede im Berliner Sportpalast zum "Totalen Krieg" auf.
Am 1. Juni 1943 erteilt er seinem Star-Regisseur Veit Harlan - Macher des antisemitischen Erfolgfilms "Jud Süß" - den Auftrag zu "Kolberg". Der Film soll "ein Beispiel des Mannesmutes und der Widerstandkraft einer Bürgerschaft auch unter verzweifelten Verhältnissen geben" und "ganz auf historischen Tatsachen aufgebaut werden", notiert Goebbels in seinem Tagebuch.
Freier Umgang mit der Historie
Zu genau soll es Harlan mit der historischen Wahrheit allerdings dennoch nicht nehmen: Zwar ist die belagerte Ostsee-Stadt Kolberg in Pommern 1806 tatsächlich eine der wenigen Städte, die dem überlegenen Heer Napoleons überhaupt Widerstand leistet - gerettet wird sie aber nicht von den heldenhaften Bewohnern, sondern weil Preußen rechtzeitig kapituliert.
Dem Pathos der Schauspieler tut das keinen Abbruch: "Ich habe noch niemals vor einem Menschen gekniet, jetzt tu' ich's: Kolberg darf nicht aufgegeben werden, Gneisenau!", fleht Heinrich George als Bürgermeister Nettelbeck. Horst Caspar als Kommandant antwortet: "So wollt' ich's von Ihnen hören, Nettelbeck. Jetzt können wir zusammen sterben!"
Zehntausende Soldaten von der Front abgezogen
Harlan produziert den mit 8,5 Millionen Reichsmark mit Abstand teuersten Nazi-Film: Es spielen mit seiner Frau Kristina Söderbaum und George zwei der größten UFA-Stars. Am Stadtrand von Berlin wird als Filmkulisse eine zerstörte historische Stadt nachgebaut. Zehntausende Soldaten werden von der Front abgezogen und zum Drehort geschafft, um als Statisten in historischen Uniformen Krieg zu spielen. Mit dem Ergebnis ist Goebbels allerdings unzufrieden: Die schauspielerische Leistung findet er hölzern, nur die Szenen der Zerstörung gefallen ihm - selbst nachdem der Film auf seinen Befehl mehrfach umgeschnitten wird. Regisseur Harlan, ein Meister im Erfinden von Rechtfertigungen für seine Propagandafilme, behauptet nach dem Krieg, er habe absichtlich einen schlechten Film gemacht.
Uraufführung in La Rochelle
Die Uraufführung von "Kolberg" findet am 30. Januar 1945, dem zwölften Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme, vor deutschen Soldaten in der eingeschlossenen Atlantikfestung La Rochelle in Frankreich statt. Die Filmrollen sind per Fallschirm über der Stadt abgeworfen worden. In Deutschland sehen nur wenige Zuschauer den Film, die meisten Kinos im Reich sind zerstört. Die Amerikaner stehen bereits am Rhein, die Russen nahe der Oder. Am 19. März 1945 notiert Goebbels: "Kolberg haben wir nunmehr räumen müssen. Ich will dafür sorgen, dass die Räumung nicht im OKW-Bericht verzeichnet wird. Wir können das angesichts der starken psychologischen Folgen für den Kolberg-Film augenblicklich nicht gebrauchen."
Stand: 30.01.2005