Schrullige Polizisten, dominante Frauen und Angst vor dem sozialen Abstieg aus der Mittelschicht: Das ist die Welt von Henry Wilt. In Tom Sharpes Bestseller "Puppenmord" (1976) wird der frustrierte Berufsschullehrer von seiner Ehefrau mit einer Sexpuppe gedemütigt, die er dann statt ihrer "tötet". Was ihn, da die Tat beobachtet wird, in Mordverdacht bringt.
Gegenüber einem tumben Inspektor kann sich Wilt in Untersuchungshaft damit brüsten, ein Serienkiller zu sein – und wird so in seiner Phantasie endlich zu einem wichtigen Menschen – zumindest für die Polizei.
Vom Hitler-Fan zum Apartheidsgegner
Geboren wird Wilt-Erfinder Tom Sharpe am 30. März 1928 in London. Seine Mutter stammt aus Südafrika, sein Vater ist ein sozialistisch eingestellter Pfarrer, der in den 1930er Jahren allerdings zum glühenden Verehrer Adolf Hitlers mutiert. In seinem Fahrwasser wird auch der junge Tom zum Anhänger der Nationalsozialisten, der deutsche Funksprüche auswendig lernt und Obergruppenführer werden will. Erst der Tod des Vaters 1944 und ein Film über Bergen-Belsen kurieren ihn nachhaltig. Die Bilder aus dem KZ verfolgen Sharpe ein Leben lang.
1951 zieht Sharpe ins Land seiner Mutter nach Südafrika, wo er als Fotograf und Lehrer für reiche weiße Schulkinder, aber auch als eine Art Sozialarbeiter in den Townships sein Geld verdient. Da hat er schon, wenn auch recht erfolglos, Lyrik verfasst. In Südafrika lernt er, das Apartheidsregime zu verabscheuen: "Ich hasste es, wie Schwarze behandelt wurden." Unter diesen Vorzeichen entwickelt er seinen sarkastisch-subversiven Stil, der auch sein heute vergessenes Theaterstück "Der Südafrikaner" prägt. Seine Aufführung in London bringt ihm in Südafrika eine Hausdurchsuchung und fünf Monate Gefängnis ein. Danach muss er das Land verlassen.
Treue Lesegemeinde
Seine Erfahrungen mit der Apartheid verarbeitet Sharpe in den Romanen "Tohuwabohu" (1971) und "Mohrenwäsche" (1973). Als Berufsschullehrer in Cambridge kommt ihm die Idee zu seinem Protagonisten Wilt, den er nach "Puppenmord" noch in weiteren Büchern zum Protagonisten macht.
1995 zieht Sharpe, bereits schwer an Diabetes erkrankt, mit seiner amerikanischen Frau Nancy ins katalanische Llafranc. Dort schreibt er ein halbes Dutzend Romane, zuletzt 2010 "Henry haut ab". An den Erfolg von "Puppenmord" reichen sie allerdings nicht mehr heran. Tom Sharpe stirbt 2013 im Alter von 85 Jahren in seiner Wahlheimat Llafranc. Sein sprachlich ausgefeilter brachial-grotesker Humor ist bis heute einzigartig.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 30. März 2018 ebenfalls an Tom Sharpes Geburtstag. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 31.03.2018: Vor 70 Jahren: Geburtstag des Politikers und Umweltaktivisten Al Gore