Der zeitgenössische Mensch scheut den Tapetenwechsel. Schlichtheit ist angesagt, und ohne Raufaser wäre ein ganzer Industriezweig heute vermutlich passé. Das war einmal ganz anders. Noch in den 70er Jahren schmückt man die Wände gern mit psychodelischen Motiven. Oder mit Korkmustern. Oder mit Fototapeten, die die Südseeromantik ins Jugendzimmer holen.
In den 70er Jahren wird die Tapetenfrage in Deutschland sogar einmal zum Politikum. Es geht um die Ausschmückung im Neubau des Bundeskanzleramts und um Ideen von überambitionierten Innenarchitekten. "Es gab keine Seidentapeten und es wird auch keine geben", stellt 1976 der Regierungssprecher von Helmut Schmidt (SPD) richtig. "An der Stelle, wo die Herren Professoren sich Seidentapeten vorstellen, wird vielmehr eine Bücherwand stehen. Die Bücher gedenkt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dem Bundeskanzleramt zu stiften, sprich: zu schenken."
Idee der Industrie
Wann die Geschichte der Tapete beginnt, ist umstritten. Manche sehen bereits die Höhlenmalereien der Steinzeitmenschen oder die Tiger- und Wildschweinfelle an den Wänden römischer Villen als eine Frühform an. Später gehören Tapeten zu den Kostbarkeiten, die sich nur der Adel leisten kann. Papiertapetenrollen, wie wir sie heute kennen, sind eine Erfindung aus dem England des 17. Jahrhunderts.
Fest steht, dass Tapeten Kulturgut sind. So gibt es 1911 eine Ausstellung zeitgenössischer Exemplare. In diesem Rahmen zeigt der Hamburger Unternehmer Gustav Ivan seine Sammlung historischer Tapeten in einer Sonderschau. Das weckt das Interesse der deutschen Tapetenindustrie für einen Museumsbau. Am 30. Juni 1923 eröffnet das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel seine Pforten.
Leder und Harz
Heute besitzt das Deutsche Tapetenmuseum rund 23.000 Exponate aus fünf Jahrhunderten. Die kostbarsten Stücke sind handgedruckte französische Panoramatapeten, die zumeist in Salons oder in Speisesälen des 19. Jahrhunderts angebracht waren. Und Goldledertapeten aus der Zeit der Renaissance, die allerdings keineswegs mit Gold gefertigt sind, sondern aus Leder, bestrichen mit einem speziellen Harz.
Zurzeit sind diese Exponate allerdings nur als Abbildung online zu bewundern. Denn auch das Museum ist reif für den Tapetenwechsel. Für mehr als 24 Millionen Euro soll in Kassel ein Neubau entstehen, der die Exponate ins rechte Licht rücken soll.
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