Sonntagabends schickt Rudi Michels Vater seinen Sohn regelmäßig zum Bahnhof. Da steht er dann am Kiosk und wartet auf den Zug, der die aktuelle Sportzeitung bringt.
"Irgendwo habe ich dann immer gedacht: 'Mensch, wenn du mal mit der deutschen Nationalmannschaft nach England fliegen könntest und würdest dort das Spiel erleben und da dann deinen Bericht tippen und fliegst wieder nach Hause – das wär doch ideal'", wird er sich später erinnern.
"Schalke so lieb wie Bayern München"
Geboren wird Michel 1921 in Kaiserslautern. Die Karriere des fast gleichaltrigen Freundes Fritz Walter beim dortigen Fußballclub verfolgt er von Anfang an mit. Mit seinem Vater reist er zu Fußballspielen quer durch die Republik. Seinen sachlichen Blick, der ihn 40 Jahre lang als Fußballreporter auszeichnet, habe er diesen Fahrten zu verdanken, sagt Michel: "Mir war Schalke so lieb wie Bayern München oder Eintracht Frankfurt."
Nach den Zweiten Weltkrieg macht Michel zunächst eine Banklehre, 1948 kommt er als Radioreporter in Baden-Baden zum Südwestfunk. Schnell lernt er, worauf es ankommt, und wird so 1954 für das Team der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz ausgewählt. Auch wenn Herbert Zimmermann das Endspiel der deutschen Mannschaft gegen Ungarn kommentiert, darf Michel doch nach dem Spiel das erste Fernsehinterview mit Mannschaftskapitän führen: "Fritz Walter, ich glaube, ich habe vorher mit Ihnen gewettet um einige Flaschen Sekt", sagt er dabei. "Wer hat Recht behalten?". Und sein Freund antwortet: lachend: "Ja, Gott sei Dank Sie, Herr Michel."
Fünf WM-Finale
Das junge Medium des Fernsehens gefällt Michel so gut, dass er vom Radio hinüberwechselt. Bis 1982 kommentiert er fünf WM-Finale, darunter auch das spektakuläre Spiel gegen England 1966 im Wembley-Stadion, bei dem er trotz der umstrittenen Tor-Endscheidung seine legendär nüchtern-zurückhaltende Art beibehält.
1988 geht Michel in Rente, schreibt Bücher und Kolumnen. Seine letzte WM erlebt er 2006 in Deutschland. Das Turnier habe Deutschland ein neues Gesicht im Ausland gegeben, sagt er, nun selbst der Interviewte: "Da könnte ich vor Freude in die Luft springen, wenn ich's noch könnte." Rudi Michel stirbt am 29. Dezember 2008 mit 87 Jahren in Baden-Baden.
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