Der 17. August 1962 verspricht, ein heißer Tag in Ost-Berlin zu werden. Um sechs Uhr macht sich der Maurerlehrling Peter Fechter wie gewohnt auf den Weg zu seiner Baustelle. Dort trifft der 18-Jährige seinen Kollegen Helmut Kulbeik. Was nicht einmal ihre Familien ahnen: Die beiden planen schon seit Monaten eine Flucht in den Westen.
Erst vor wenigen Tagen haben die jungen Männer ein geeignetes Schlupfloch in einer Schreinerei gefunden. "Das war nicht von Anfang an die Mauer, die wir im Kopf haben, wenn wir an 1989 denken. Sondern das waren zugemauerte Straßenübergänge, teilweise auch Häuserzeilen", erklärt Maria Nooke von der Stiftung Berliner Mauer.
Vom Oberlicht in die Todeszone
Das ausgewählte Fabrikgebäude unweit der Friedrichstraße steht direkt an der Grenze. Auf dem Gelände der Schreinerei fallen zwei Männer in Arbeitsmontur wahrscheinlich nicht weiter auf, so die Hoffnung von Kulbeik und Fechter.
Als sie an diesem Freitag mittags einen Imbiss in der Nähe aufsuchen, nutzen die 18-Jährigen die Gelegenheit, um sich abzusetzen. Fechter und Kulbeik verbergen sich zunächst in einem ungenutzten Lagerraum der Schreinerei. Um kurz nach 14 Uhr springen sie durch ein Oberlicht an der Gebäuderückseite direkt auf den Grenzstreifen.
Öffentliches Sterben ohne Hilfe
"Peter zuerst, ich hinterher. Wir durchliefen die zehn Meter bis an die Mauer. In diesem Augenblick fielen Schüsse", gibt Kulbeik später der West-Berliner Polizei zu Protokoll. Vier Grenzposten stürmen auf Peter Fechter zu. Ihre Kalaschnikows sind weisungsgemäß auf Dauerfeuer gestellt, mehr als 30 Schüsse fallen. Während Kulbeik noch den Stacheldraht überwinden kann, wird Fechter getroffen und sackt im Osten der Mauer zusammen.
"Erst war es ein Moment der totalen Stille. Und dann fing er an zu schreien. Er schrie um Hilfe", erinnert sich Margit Hosseini, die das Geschehen fassungslos aus ihrer West-Berliner Wohnung beobachtet. Doch nichts passiert, die Grenzsoldaten sehen nur zu. "Mir war sehr klar: dieser Mensch wird dort jetzt sterben. Dieses Gefühl habe ich mein ganzes Leben nie vergessen."
Entsetzen über Fechters Tod
Nach fast einer Stunde tragen schließlich DDR-Soldaten Fechter aus dem Grenzstreifen und bringen ihn ins Krankenhaus. Zu spät, der 18-Jährige ist verblutet. Seine tödliche Flucht wühlt die Menschen auf. Mehrere Hundert West-Berliner versammeln sich abends an der Mauer und rufen "Mörder, Mörder" den Grenzsoldaten entgegen.
Auch die Gegenseite gerät in der Kritik. "Ich empfand als West-Berlinerin: Warum tut die westliche Seite nichts?" fragt Hosseini. Zumal nur wenige Meter entfernt, am Checkpoint Charlie, Soldaten der Schutzmacht USA stationiert sind. Doch die haben mitten im Kalten Krieg die Order stillzuhalten - zu groß ist die weltpolitische Brisanz.
Zorn auf beiden Seiten der Mauer
"Wenn es in West-Berlin eskalierte, war nicht zu garantieren, dass es nicht auch weltweit eskalierte. Und das wollte niemand riskieren", sagt Maria Nooke. Schließlich muss sogar der Regierende Bürgermeister Willy Brandt beschwichtigen: "Unsere Feinde warten nur darauf, dass wir unseren klaren Kopf verlieren. Bleiben Sie in allem Zorn besonnen!"
Die DDR-Sicherheitsorgane kämpfen mit ihren Methoden gegen den Zorn der eigenen Bevölkerung. Peter Fechters Familie wird eingeschüchtert, an seinem Grab wacht anfangs stets ein Stasi-Mitarbeiter.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 17. August 2017 ebenfalls an den Tod von Peter Fechter. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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