Stichtag

18. Dezember 1913 - Willy Brandt wird geboren

Sein Kniefall vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos 1970 wird zum Symbol: Willy Brandts (SPD) zentrale Leistung als Bundeskanzler ist seine Ostpolitik, die im Kalten Krieg für Entspannung sorgt. "Priorität hatte für ihn die faktische Anerkennung der Grenzen in Mitteleuropa, insbesondere der Oder-Neiße-Grenze", sagt Politikwissenschaftler Wichard Woyke. Damit schafft Brandt die Grundlage für Verhandlungen zwischen Ost und West. Denn bis dahin herrschte die Befürchtung, die Deutschen könnten ihre ehemaligen Ostgebiete von Polen zurückfordern. Für Journalist und Brandt-Biograph Hans-Joachim Noack besteht der Verdienst Brandts darin, "die Deutschen der Welt als versöhnungsbereit und auch wandlungsfähig anzubieten."

1971 erhält Brandt für seine Entspannungspolitik den Friedensnobelpreis. Während er im Ausland angesehen ist, bleibt der Brückenbauer in der Bundesrepublik jedoch umstritten. Jahrzehntelang haben konservative Politiker wie Kanzler Konrad Adenauer (CDU) die Erwartung befeuert, dass die verlorenen Gebiete bald wieder zu Deutschland gehören würden. Mit dem Vertrag von Warschau und der damit faktischen Anerkennung von Polens West-Grenze ist diese Illusion dahin. "Er gibt nichts preis, was nicht längst verspielt worden ist", so Brandt, der den Vertrag 1970 in Warschau unterzeichnet und nach seiner Rückkehr von der christdemokratischen Opposition als Vaterlandsverräter beschimpft wird.

"Wandel durch Annäherung"

In den Augen mancher Konservativer ist Brandt auch ein Vaterlandsverräter, weil er im Zweiten Weltkrieg kein Wehrmachtssoldat war, sondern ein Widerstandskämpfer im Exil. Die Vorgeschichte: Der am 18. Dezember 1913 in Lübeck geborene uneheliche Sohn einer Verkäuferin heißt zunächst Herbert Frahm. Schon als Jugendlicher tritt er in die SPD ein, verlässt sie aber bald wieder, da sie ihm nicht konsequent genug ist. Er tritt 1931 der "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" (SAPD) bei, einer SPD-Linksabspaltung. Nach der Machtübernahme von Adolf Hitler flieht der 19-Jährige nach Norwegen, wo er ein Netzwerk gegen die Nazis aufbaut. Für den Untergrundkampf wählt er den Namen Willy Brandt.

Die Stalinsche Säuberungswelle in der Sowjetunion verändert Brandts politische Ausrichtung: 1945 kehrt er als Sozialdemokrat nach Deutschland zurück und macht in der SPD Karriere. 1957 wird er regierender Bürgermeister von Berlin. Nach dem Mauerbau 1961 wird ihm klar, "dass wir nicht damit rechnen könnten, dass die Westmächte uns bei der Überwindung der Teilung Deutschlands helfen würden." Deshalb entwickelt er die Grundlagen seiner Ostpolitik: "Wandel durch Annäherung". Brandt macht im Berliner Rampenlicht eine gute Figur. Die SPD kürt ihn zum Kanzlerkandidaten und stilisiert ihn zu einem deutschen Kennedy: jung, volksnah, eloquent.

"Mehr Demokratie wagen"

Als Brandt 1969 zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler gewählt wird, verkündet er: "Wir wollen mehr Demokratie wagen." Dass die konservative Opposition versucht, Brandt mit einem Misstrauensvotum zu stürzen, stärkt ihn bei den folgenden Neuwahlen. Nur knapp zwei Jahre nach seinem furiosen Wahlsieg von 1972 stolpert Brandt über eine Spionageaffäre. Günter Guillaume, einer seiner engsten Mitarbeiter, entpuppt sich als DDR-Agent. Brandt tritt als Regierungschef zurück. Angeblich gibt es noch weitere Gründe für den Rücktritt. Der verheiratete Kanzler soll wegen Liebschaften erpressbar geworden sein. Zudem leide er an Selbstzweifeln. "Es gibt in der SPD die Sprachregelung, Brandt habe an Depressionen gelitten", sagt Biograf Noack. Der Kanzler habe zwei, drei Tage für niemanden ansprechbar im Bett gelegen, "um dann wieder wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen."

Auch nach seinem Rücktritt arbeitet Brandt politisch weiter. Er bleibt bis 1987 Bundesvorsitzender der SPD und wird Präsident der Sozialistischen Internationale, Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission sowie Mitglied des Europäischen Parlaments. Schließlich kann er die Früchte seines politischen Lebenswerks ernten: Er erlebt den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung. Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt stirbt am 8. Oktober 1992 im rheinland-pfälzischen Unkel.

Stand: 18.12.2013

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 18. Dezember 2013 ebenfalls an Willy Brandt. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.