Die Mutter macht keinen Hehl daraus, dass sie ihren ältesten Sohn für einen vollkommen ungeeigneten Thronfolger hält. "Sein Intellekt - ach! - ist schwach", schreibt die britische Königin Victoria über ihren am 9. November 1841 geborenen Sohn Albert Edward, den die Familie nur "Bertie" nennt. Die Eltern finden das zweite von neun Kindern unterdurchschnittlich, während die ältere Schwester als begabt und intelligent gilt.
Der Privatunterricht des Jungen an sechs Tagen die Woche gerät zum Desaster. Die Lehrer schaffen es kaum, seine Aufmerksamkeit zu fixieren. "Sie ließen seinen Kopf vermessen, um zu sehen, was mit ihm nicht stimmte", sagt Jane Ridley, Geschichtsprofessorin an der Buckingham University. Dabei hat der Junge durchaus Eigenschaften der königlichen Mutter geerbt. "Er war jähzornig, scharfsinnig, aber kein Akademiker", so Ridley. Dennoch hätten die Eltern gerne einen Intellektuellen mit hohen moralischen Prinzipien aus ihrem ältesten Sohn gemacht.
Lebemann statt Intellektueller
Tatsächlich entwickelt sich Prinz Edward genau ins Gegenteil: Bücher sind ihm ein Leben lang ein Graus. Auch die Studienreisen durch Europa und Ägypten, die seine Eltern ihm als Teenager verordnen, wecken nicht das erhoffte Interesse an Kunst, Kultur und Geschichte. Stattdessen widmet sich Edward den leichten Dingen des Lebens: Jagd, Mode, Glücksspiel, Zigarren und Damen.
Äußerlich ist der britische Prinz alles andere als gut aussehend, aber er kann Menschen in seinen Bann ziehen. "Jeder, mit dem er sprach, fühlte sich wertgeschätzt", sagt Ridley, die eine Biografie über ihn verfasst hat. Diesem Charme - und wohl auch dem königlichen Titel - erliegen zahlreiche Damen der feinen und weniger feinen Gesellschaft. Beachtliche 55 Affären sagt man dem Thronfolger nach.
Auch die von Victoria arrangierte Ehe mit der bildhübschen Alexandra von Dänemark, die ihm innerhalb kürzester Zeit sechs Kinder schenkt, domestiziert Bertie nicht wie von der Königin erhofft. "Alexandra ist meine Zuchtstute, die anderen sind meine Reitpferde", pflegt er zu sagen. Zu seinen Liebschaften soll die Urgroßmutter von Camilla Parker Bowles, Ehefrau von Prinz Charles, ebenso gehört haben wie die Mutter von Winston Churchill.
Mit 59 Jahren zum Monarchen
Als "Bertie" 1901 schließlich den Thron besteigt, sind die Erwartungen an den mittlerweile 59-Jährigen niedrig. "Viele sahen Edward VII. als übergewichtigen Ehebrecher", so Historikerin Ridley. Zur allgemeinen Überraschung arbeitet der Lebemann hart und wird ein beim Volk beliebter Monarch. Er verbessert die bis dato miserablen Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien. Daneben pflegt der König beste internationale Beziehung. Nicht zuletzt, weil er dank der geschickt eingefädelten Hochzeiten seiner Geschwister und seiner eigenen Kinder mit fast allen europäischen Königshäusern verwandt ist.
Nur das Verhältnis zu Deutschland, mit dem England seit geraumer Zeit im Marine-Wettrüsten verstrickt ist, verschlechtert sich zusehends. Daran ändert auch nichts, dass Edward der Onkel von Kaiser Wilhelm II. ist. "Ich habe nicht mehr lang zu leben. Und dann wird mein Neffe in den Krieg ziehen", prognostiziert er im März 1910. Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebt er nicht mehr. Edward VII. stirbt wenig später am 6. Mai 1910 mit 68 Jahren.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 9. November 2016 ebenfalls an King Edward VII. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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