Am Rande der Demonstration kam es am 26. Mai 1993 zu Auseinandersetzungen zwischen Gegnern der Asylrechtsänderung und der Polizei

Stichtag

4. Mai 1955 - Bundestag verabschiedet Bannmeilengesetz

Bonn, 26. Mai 1993: Im Regierungsviertel herrscht Ausnahmezustand. Rund 10.000 Demonstranten blockieren die Zugänge zum Bundestag. Sie protestieren gegen die geplante Änderung des Asylrechts und wollen die Abstimmung darüber verhindern. Die Abgeordneten gelangen trotzdem ins Plenum - allerdings nicht nur auf dem Landweg. 260 Parlamentarier werden per Schiff über den Rhein gebracht, 130 mit dem Hubschrauber eingeflogen.

Währenddessen hält die Polizei die Demonstranten davon ab, unmittelbar vor den Bundestag zu ziehen. Denn um ihn herum ist eine unsichtbare Bannmeile gezogen - eine Art Sicherheitszone unter freiem Himmel. Wer dort demonstriert, wird festgenommen. Grundlage dafür ist das Bannmeilengesetz, das am 4. Mai 1955 vom Bundestag verabschiedet worden ist. Darin ist festgeschrieben, dass im Umkreis der Gesetzgebungsorgane des Bundes und um das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht protestiert werden darf. Bei Verstößen gegen das Gesetz drohen Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen.

Zunächst Schutz für das Gewerbe

Ihren Ursprung hat die Bannmeile im Mittelalter. Damals bezeichnet sie das Gebiet um eine Stadt, innerhalb dessen dem städtischen Gewerbe keine Konkurrenz gemacht werden darf. Die politische Bannmeilenregelung geht wohl auf den englischen "Seditious Meeting Act 1817" zurück, wonach innerhalb einer Meile vor dem Parlament Versammlungen von mehr als 50 Menschen untersagt sind. In Deutschland schützt die Bannmeile im 19. Jahrhundert die Residenzen der Adeligen, bis Kaiser Wilhelm II. diese Regelung abschafft. Im Oktober 1848 beschließt die Frankfurter Nationalversammlung die erste Bannmeile für ein deutsches Parlament.

Nach der Revolution von 1918 wird die parlamentarische Schutzzone in der Weimarer Republik abgeschafft. Das ändert sich jedoch nach blutigen Auseinandersetzungen: Am 13. Januar 1920 beraten die Abgeordneten über das Betriebsrätegesetz, als Mitglieder der Rätebewegung versuchen, in die Nationalversammlung einzudringen. Um das zu verhindern, greift die Reichswehr ein. 42 Menschen sterben, viele werden verletzt. Als Konsequenz daraus wird am 8. Mai 1920 das "Reichsgesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstages und der Landtage" verabschiedet. Der erste Paragraf bestimmt: "Innerhalb des befriedeten Bannkreises des Reichstagsgebäudes dürfen Versammlungen unter freien Himmel und Umzüge nicht stattfinden." Von den Nationalsozialisten wird das Gesetz 1934 aufgehoben, nachdem sie mit der Reichstagsbrandverordnung von 1933 die Versammlungsfreiheit ohnehin außer Kraft gesetzt haben.

Von "befriedeten Bezirken" abgelöst

Erst das Bannmeilengesetz von 1955 richtet wieder Schutzzonen ein. Damit sollen anti-demokratische Einflüsse ferngehalten werden. Parlamentarier und Richter dürfen demnach in keiner Weise in ihrer freien Willensbildung durch den "Druck der Straße" beeinträchtigt werden. Diese Regelung stößt über die Jahre immer wieder auf Kritik. Es wird vorgebracht, die ursprüngliche Überlegung, der Wille der Parlamentarier könne durch Aufmärsche eingeschränkt werden, sei nicht mehr aktuell. Ferner reiche das Polizeirecht zum Schutz der Parlamente aus. Zudem werde durch eine Bannmeile das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschnitten.

Vor dem geplanten Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin diskutieren die Parteien jahrelang über eine Neuregelung. Das Ergebnis: Zwei Monate vor dem Umzug schafft der Bundestag im August 1999 mit den Stimmen von SPD und Grünen das Bannmeilengesetz ab. Für die Verfassungsorgane in Berlin und Karlsruhe gibt es keine Bannmeile mehr, sondern nur noch "befriedete Bezirke". Verstöße gegen das neue Gesetz werden nicht mehr als Straftaten, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeiten mit der Möglichkeit von Geldbußen geahndet. Damit wird die Polizei vom Zwang befreit, auch bei geringfügigen Verstößen einschreiten zu müssen. Außerdem dürfen sich Demonstranten in Berlin auf dem Platz der Republik und im Spreebogen versammeln, wenn keinen Bundestagssitzungen stattfinden.

Stand: 04.05.2015

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