Ein Orchester beim Festival des politisches Liedes

Stichtag

15. Februar 1970 – Erstes DDR-Festival des politischen Liedes

Optimistisch und naiv, ideologisch und dogmatisch: So zeigt sich das Liedgut der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Besungen werden die Genossen Stalin und Walter Ulbricht, besungen werden Rinderoffenställe und die SED. Aber mit vertonten Parteiprogrammen ist vor allem die Jugend nicht für den real existierenden Sozialismus zu begeistern.

Nach dem Mauerbau ist in den späten 60ern eine Generation von DDR-Bürgern herangewachsen, die sich durchaus mit ihrem Staat identifizieren will, aber auch die kritische Auseinandersetzung sucht. Aber Mitsingen möchte sie Parolengesänge wie "He He He, SED ist historisch auf der Höh‘" oder "Und im hellen Sonnenschein zieht der Sozialismus ein" eher nicht. Gute Jugendlieder sind noch rar.

Gelernt vom Klassenfeind

"Jugendlieder sind noch rar" tönt es auch in einem Jugendlied aus dem Oktoberklub. Gegründet wird er 1966 von einigen jungen DDR-Musikern – und dies ausgerechnet nach US-amerikanischem Vorbild. Beim Klassenfeind im Westen nämlich hat sich unter der Schirmherrschaft des Folk-Sängers Pete Seeger eine so genannte Hootenanny-Kultur etabliert, bei der Musiker ungezwungene, oft improvisierte gesellige Konzerte veranstalten. Dem wollen die engagierten DDR-Musiker nacheifern. Das wird erlaubt – nur der Ursprungsname "Hootenanny-Klub Berlin" ist den Parteibonzen ein Dorn im Auge. Kurzerhand nennt sich die Singgemeinschaft revolutionär in "Oktoberklub" um.

Die Mitglieder des Oktoberklubs sind "hundertprozentig rot, überzeugt und ehrlich". So fasst es einer der wichtigsten Liedermacher der DDR, Reinhold Andert, selbst Gründungsmitglied, zusammen. Und sie stellen Konzerte auf die Beine, zu der internationale Stars des Protestsongs kommen. Das gefällt der SED-Führung, die sich auf der politischen Weltbühne um Anerkennung des ostdeutschen Staates bemüht. Sie beschließt, aus der lockeren Verbindung etwas Staatstragendes zu machen. Am 15. Februar 1970 wird aus einer Geburtstagsfeier des Oktoberklubs als offizielle Veranstaltung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in Berlin das erste "Festival des politischen Liedes".

Alle kommen – zumindest aus dem Westen

Schnell entwickelt sich das Festival zu einer festen Größe der DDR-Kultur. Aus dem Westen kommen Stars wie Franz-Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, Hannes Wader, Angelo Branduardi, Mercedes Sosa, Maria Farandouri, Mikis Theodorakis, Heinz-Rudolf Kunze, Konstantin Wecker, die "Erste Allgemeine Verunsicherung" – und auch Pete Seeger. Stars aus dem befreundeten sozialistischen Ausland zu bekommen, gestaltet sich indes schwieriger. "Für die sozialistischen Länder waren wir praktisch Westen, so komisch das klingt", sagt Reinhold Andert. "Die ließen die Leute nicht gern hierher." Wer reisen durfte, wurde in den ideologisch inetegren Jugendverbänden entschieden. "Und das war dann meist das Drama. Das waren immer die Schwachstellen im Programm."

Außerdem wird das Festival immer mehr zum Propagandainstrument, mischt sich die SED in die Programmplanung ein. Reinhold Andert wird 1980 aus der Partei ausgeschlossen. Mit dem Ende der DDR wird es auch still um das politische Lied. 1990 findet das letzte Festival statt. Die politische Situation heute sei eben "nicht mehr so, dass ich Lieder brauche, um etwas zu bewerkstelligen", resümiert Andert. "Dafür sind Lieder eigentlich unnütz heute."

Stand:15.02.2015

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