Nuri Sahin hatte erhöhten Redebedarf. Nach der bitter-rätselhaften 1:5 (0:2)-Pleite beim VfB Stuttgart bat der angefressene Coach von Borussia Dortmund seine Profis zur knallharten Analyse "unter Männern".
Und das dauerte - kein Wunder angesichts der quälend langen Mängelliste im Duell der Bundesliga-Schwergewichte, in dem der BVB in allen Belangen für zu leicht befunden wurde. Als das Training am Montag (23.09.) mit halbstündiger Verspätung begann, zeigte Sahin ein feines Lächeln - befreit vom VfB-Frust?
Sahin klagt über "Nicht-Leistung" seiner Mannschaft
Was er seiner Mannschaft einimpfen wollte, hatte er jedenfalls vorab öffentlich gemacht - in überaus deutlichen Worten. "So ein Gesicht", schimpfte er nach dem "ernüchternden" Auftritt beim begeisternden VfB, "will ich nie wieder sehen. So dürfen wir als Borussia Dortmund nicht auftreten. Das war eine Nicht-Leistung! Von der ersten bis zur letzten Minute gar nichts!"
Sahin hatte sichtlich Mühe, diesen Nackenschlag zu verdauen. Es werde jetzt "zurecht auf uns eingedroschen". Auch auf ihn? Nicht von Sebastian Kehl! Der Sportdirektor klang zwar ebenfalls alarmiert, betonte jedoch, der "Prozess" mit dem jungen Trainer brauche "Zeit". Allerdings: "Wenn wir häufiger solche Leistungen abliefern, dann werden wir mit unseren Zielen nichts zu tun haben!"
Nico Schlotterbeck (l.) und Yan Couto
Tatsächlich setzte Stuttgart ein erstes Fragezeichen hinter das BVB-Projekt - und zwar ein ziemlich dickes. Passschärfe, Zweikampfführung, Positionsspiel - in all diesen Bereichen war der Champions-League-Finalist dem Königsklassen-Rückkehrer hoffnungslos unterlegen. Dazu gesellten sich rätselhafte spielerische und technische Schwächen, Struktur und Abläufe passten nicht.
Sahin hatte daran seinen Anteil. Zum wiederholten Male besetzte er Spieler wie Nico Schlotterbeck oder Marcel Sabitzer nicht auf deren Idealposition. Überdies verzichtete er zunächst auf den formstarken Jamie Gittens. Als der Coach mit der Verletzung von Felix Nmecha regelrecht gezwungen wurde, dies zu korrigieren (30.), stand es schon 0:2.
Kehl: "Das ist nicht unser Anspruch!"
Auch die Umstellung auf eine Dreierkette mit Wiederbeginn fruchtete nicht, nach dem zwischenzeitlichen 1:3 von Serhou Guirassy (75.) gab es kein Aufbäumen - der BVB ging regelrecht unter. "Wir werden am vierten Spieltag nicht alles in Schutt und Asche reden, das macht keinen Sinn", betonte Kehl tapfer - und redete mit einem "großen Kopfschütteln" dennoch Tacheles. "So dürfen wir uns nicht präsentieren, das ist nicht das Niveau, auf dem wir spielen wollen, nicht der Anspruch, den hier jeder Einzelne mitbringt!", polterte er. Wie er, betonte Kehl, sollten die Spieler "richtig sauer" sein.
Marcel Sabitzer
Einige leisteten vor 100 Fans am Montag Abbitte, gaben Autogramme. Schließlich hatten sie die höchste Bundesliga-Niederlage seit fast vier Jahren (ebenfalls 1:5 gegen Stuttgart) zu verantworten. Besorgniserregend: Von den jüngsten 21 Spielen gegen Ligarivalen, die die Champions League erreicht haben, gewann Dortmund nur vier – bei 14 Niederlagen.
Zu allem Überfluss durfte die Borussia am späten Abend wegen einer geringfügigen Verspätung von nur drei Minuten nicht mehr in Dortmund landen und musste via Paderborn in Shuttles zurückreisen. Kehl hatte jedoch allein die sportlichen Probleme im Blick, als er betonte, Dortmund müsse "sehr, sehr schnell lernen" - schon am Freitag (27.09./20.30 Uhr) kommt Bochum zum kleinen Revierderby. Dann, glaubt Sahin, "werden wir anders auftreten".
BVB bislang spielerisch noch nicht überzeugend
Der VfB war der erste echte Gradmesser für die Schwarz-Gelben in dieser Saison - und direkt eine Nummer zu groß. Wirklich überzeugt hat der BVB bislang nur selten. Gegen Frankfurt (2:0) und beim Champions-League-Auftakt in Brügge (3:0) rettete Joker Jamie Gittens die Dortmunder jeweils per Doppelpack. In Bremen (0:0) blieben sie viel schuldig, einzig gegen Heidenheim (4:2) begeisterten sie phasenweise.
Von möglicher Müdigkeit vier Tage nach dem Königsklassen-Start wollte Sahin in Stuttgart nichts wissen. "Man kann Millionen Ausreden finden, aber keine gilt", sagte er trotzig. Eine Vielzahl an Fragen dürfte jedoch auch auf den jungen Coach zukommen, sollten die einzelnen Rädchen in seinem System nicht zeitnah besser ineinander greifen.
Quelle: sid/dpa/red