Tim Kleindienst musste 29 Jahre alt werden, um den Anruf zu bekommen, von dem wohl jedes Kind träumt: Bundestrainer Julian Nagelsmann berief den Mittelstürmer von Borussia Mönchengladbach erstmals in den Kader der A-Nationalmannschaft. Seine Reaktion: "Sehr euphorisch", wie Nagelsmann verriet. Kleindienst selbst sprach von einem "der schönsten Telefonate, das ich jemals hatte".
Der Angreifer ersetzt für die Nations-League-Spiele am 11. Oktober gegen Bosnien-Herzegowina und drei Tage später gegen die Niederlande den an der Achillessehne verletzten Niclas Füllkrug. "Fülle", der im Sommer von Borussia Dortmund zu West Ham United gewechselt war, wird laut Nagelsmann "noch zwei, drei Wochen brauchen". Es sei eine "gute Gelegenheit, Tim zu testen".
Ein Stürmer mit Defensivqualitäten
Kleindienst könne sich jetzt "beweisen", so der Bundestrainer, der unter anderem die defensive Verlässlichkeit des Spielers lobte. Das ist insofern überraschend, da die eigentliche Aufgabe eines Angreifers ja darin besteht, Tore zu schießen. Kleindienst jedoch überzeugt seit jeher durch das Gesamtpaket, das er bietet. Er sei "vielleicht nicht immer der filigranste Fußballer, aber dafür lebe ich auch so ein bisschen diese Drecksack-Mentalität", sagte der 1,94 Meter große Mittelstürmer über sich in der "Süddeutschen Zeitung".
Und er ist ein echter Malocher. Genau das ist es auch, was sein Gladbacher Coach Gerardo Seoane an Kleindienst so schätzt: "sein Engagement, seine Bereitschaft, seine Energie, die er uns im Spiel gegen den Ball gibt". Der Stürmer sei als erster Anläufer unermüdlich, gehe keinem Zweikampf aus dem Weg und ziehe so die ganze Mannschaft mit.
Kleindienst als Heidenheimer Aufstiegsheld
Kleindienst wurde in Jüterborg geboren und fußballerisch größtenteils bei Energie Cottbus ausgebildet. Seine bisher größten Erfolge feierte der Stürmer im Trikot des 1. FC Heidenheim. Auf der Ostalb wurde er einst zum Aufstiegshelden, erzielte in der Zweitliga-Saison 2022/23 stolze 25 Tore - darunter auch das alles entscheidende zum Bundesliga-Einzug. Im folgenden Jahr führte er den Dorfklub mit 14 Toren und fünf Assists sogar bis nach Europa.
Im Sommer wechselte Kleindienst dann für eine festgeschriebene Ablöse von sieben Millionen Euro nach Gladbach. Für die Fohlen hat der 29-Jährige am Freitag gegen Augsburg (1:2) im sechsten Spiel sein drittes Tor erzielt. Eindrucksvoller sind aber zwei andere Statistiken: Seit Beginn der vergangenen Spielzeit ist Kleindienst der Profi, der in der Bundesliga die meisten Zweikämpfe und Sprints absolviert hat.
"Klassische Neun" wieder im Trend
Der Stürmer sei wichtig, lobt ihn Trainer Seoane - auch, weil er Lücken für die Mitspieler reißt. In Gladbach profitieren davon aktuell Kevin Stöger oder Alassane Plea; beim DFB vielleicht aber auch bald Florian Wirtz oder Jamal Musiala. Kleindienst jedenfalls will unter allen Umständen beweisen, dass er in der Nationalelf ein ernstzunehmender Konkurrent für Füllkrug sein kann.
Sowohl Kleindienst als auch Füllkrug profitieren davon, dass es neben ihnen kaum echte, wuchtige Neuner für das DFB-Sturmzentrum gibt. Deniz Undav, der diesmal nicht nominierte Maximilian Beier oder Kai Havertz sind gänzlich andere Spielertypen. Der Mangel an klassischen Mittelstürmern - groß gewachsen und stark in der Ballbehauptung - liegt daran, dass diese in Deutschland eine ganze Zeit lang schlicht nicht gewollt waren. Doch inzwischen werden sie wieder händeringend gesucht - ganz zur Freude von Tim Kleindienst.