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Retortenbaby Oliver W. mit seiner Mutter Maria

16. April 1982 - Geburt des ersten deutschen Retortenbabys in Erlangen

Stand: 11.04.2022, 12:41 Uhr

Am 16. April 1982 überschlagen sich die Medien, als der kleine Oliver in der Universitätsfrauenklinik Erlangen zur Welt kommt - vier Kilo schwer, 52 Zentimeter groß - unter einer hellen Laborlampe gezeugt, im Scheinwerferlicht geboren. Der Säugling ist Deutschlands erstes so genanntes Retortenbaby. Ein Medienstar qua Geburt.

Fernsehkameras filmen im Kreißsaal exklusiv die Entbindung per Kaiserschnitt. Der kleine Star der Fortpflanzungsmedizin sorgt für viele Schlagzeilen und schürt Hoffnungen.

In der Bundesrepublik leben damals schätzungsweise 100.000 Frauen, die wie Olivers Mutter Maria nicht auf natürliche Weise schwanger werden können.

Geburt des ersten "Retortenbabys" in Deutschland (am 16.04.1982)

WDR ZeitZeichen 16.04.2022 14:57 Min. Verfügbar bis 16.04.2099 WDR 5


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Geburt live im Fernsehen

Dem 42-jährigen Gynäkologen Siegfried Trotnow gelingt an der Universitätsfrauenklinik in Erlangen das erste in Deutschland in einer Petrischale gezeugte Baby auf die Welt zu holen. Fünf Jahre nach dem weltweit ersten Retortenbaby Louise Brown ist Olivers Geburt in der Bundesrepublik ein viel diskutiertes Ereignis, das live im ZDF-Gesundheitsmagazin "Praxis" übertragen wird. 

Fortpflanzungsmedizin als letzte Hoffnung

Laut Erhebungen des Bundesministeriums für Familien ist in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Für viele sind die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin die einzige Möglichkeit, sich den Kinderwunsch zu erfüllen.  

Im ersten Anlauf zum Erfolg

Etwa 100.000 In-vitro-Fertilisationen werden in Deutschland pro Jahr durchgeführt. Die Geburtenrate bei dieser assistierten Befruchtung liegt derzeit pro Versuch bei etwa 23 Prozent. Bei Olivers Mutter Maria ist gleich der erste Versuch ein Volltreffer. Ein Embryo nistet sich ein und bleibt.

Hoffnung versus Unbehagen

Doch nicht alle Menschen, die ihren Kinderwunsch jenseits des klassischen Zeugungsaktes verwirklichen möchten, haben in Deutschland das Recht auf ihrer Seite; geschweige denn die öffentliche Moral.

Die Geburt des ersten deutschen Retortenbabys vor 40 Jahren löst nicht nur Hoffnung und Zuversicht aus, sondern auch Skepsis und Unbehagen.

Rote Karte der katholischen Kirche

Die katholische Lehrmeinung zeigt bis heute jeglicher Reproduktionsmedizin die Rote Karte, die evangelische Kirche setzt weitgehend aufs  Gewissen ihrer Gläubigen. Der Deutsche Bundestag verabschiedet 1990 das Embryonenschutzgesetz.

Das Strafgesetz regelt den Umgang mit menschlichen Embryonen mit dem Ziel, menschliches Leben von Beginn an zu schützen und Missbrauch zu verhindern. 2011 wird es lediglich um Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik erweitert.

Der Medizin-Tourismus blüht

Das Geschäft mit der guten Hoffnung boomt. Kinderwunsch-Behandlungen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch der Medizin-Tourismus blüht. Immer mehr deutsche Paare suchen im Ausland, was ihnen daheim verwehrt bleibt.

Seit Olivers Geburt sind rund 340.000 Kinder in der Bundesrepublik mithilfe der In-vitro-Fertilisation gezeugt worden und zur Welt gekommen.

Nichts bereut trotz hoher Kosten

Die Kosten für einen IVF-Behandlungszyklus liegen aktuell zwischen drei- und viertausend Euro. Bis zu drei Versuche werden in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst. Allerdings nur bei heterosexuellen und verheirateten Paaren, zudem muss die Frau unter 40 und der Mann unter 50 Jahren sein. Auch Maria musste ihre Behandlung aus eigener Tasche bezahlen, bereut hat sie es nicht.

Autorin des Hörfunkbeitrags: Steffi Tenhaven
Redaktion: David Rother

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. April 2022 an die Geburt des ersten deutschen Retortenbabys. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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