Lies mir was vor: "Eine blassblaue Frauenschrift"
Wien 1936: Der Brief der Jüdin Vera stürzt den selbstverliebten Juristen Leonidas in eine Krise. Kann er weiterleben wie bisher? Franz Werfel entwirft das Psychogramm eines Emporkömmlings, erzählt von Liebe und Lebenslügen. Gelesen von Michael Müller.
Der Jurist Leonidas ist durch Fleiß und die Heirat mit einer Millionenerbin aus kleinen Verhältnissen in die höchsten Kreise Österreichs aufgestiegen. Am Morgen seines 50. Geburtstags bekommt er Post – darunter auch einen Brief in einer blassblauen Frauenschrift. Er stammt von Vera Wormser, mit der er 18 Jahre zuvor eine Affäre hatte. Die Jüdin ist aus Deutschland nach Wien gekommen und bittet ihn um Hilfe für einen jungen Mann. Leonidas stürzt in eine Krise, vermutet er in dem jungen Mann doch seinen unehelichen Sohn.
Franz Werfel entwickelt das faszinierende Psychogramm eines Emporkömmlings, erzählt von Liebe und Lebenslügen. Zugleich verarbeitet er seine Erfahrungen in einer Gesellschaft, die dem Nationalsozialismus verfällt.
Die Erzählung entstand 1940 in Sanary-sur-Mer und Lourdes. Der Österreicher Franz Werfel stammte aus einer jüdischen Familie, flüchtete vor den Nationalsozialisten zuerst nach Südfrankreich. In einer gefährlichen Wanderung rettete er sich und seine Frau Alma gemeinsam mit Heinrich, Nelly und Golo Mann über die Pyrenäen nach Spanien. Von dort gingen sie in die USA, wo Werfel 1945 mit nur 54 Jahren starb.
Zum Tag der Deutschen Einheit lädt Host und Moderatorin Rebecca Link ein zu Lesung und Talk über Franz Werfels berühmte Novelle. Zu Gast im Studio ist diesmal WDR-Literaturredakteur Michael Reinartz. Michael Müller aus dem WDR-Stimmwerk liest die Novelle in voller Länge vor. Zu hören ist alles im Radio bei WDR 5 und überall da, wo es Podcasts gibt.
Regie: Martin Zylka
Redaktion: Simone Thielmann