Buchcover: "Die Bestie von Paris und andere Geschichten" von Marie-Luise Scherer

Lesefrüchte

"Die Bestie von Paris und andere Geschichten" von Marie-Luise Scherer

Stand: 19.01.2024, 13:55 Uhr

Die Reportagen, die Marie-Luise Scherer bis zur Jahrtausendwende vor allem für den "Spiegel" schrieb, besaßen eine überragende literarische Qualität. Einige von ihnen wurden als Bücher veröffentlicht. Ihre Paris-Reportagen "Die Bestie von Paris" sind jetzt in der Friedenauer Presse neu aufgelegt worden.

In der Titel-Geschichte nimmt Marie-Luise Scherer die Leser mit zu Orten in Paris, die sie zu kennen meinen – wie beispielsweise die steilen Straßen des Montmartre – führt sie dort aber in Welten ein, die nichts mit dem Touristen-Paris zu tun haben: In abgewrackte Travestie-Lokale, auf den Schwulen-Strich, in verranzte Hotel außerhalb jeder Kategorie und von dort in die Hinterhäuser düsterer Gassen, in denen alte Frauen ihr kümmerliches Rentnerinnen-Dasein fristen.

Akribisch genau rekonstruiert die Autorin eine in den 1980er Jahren Aufsehen erregende Serie brutaler Raubmorde an solchen alten Frauen. Die Täter, ein schwules Paar aus dem Travestie-Milieu, finanzierten damit ihren aufwendigen Lebensstil und Drogenkonsum.

Die außergewöhnliche literarische Qualität dieser wie auch der anderen Paris-Reportagen Scherers beruht – neben der Genauigkeit der Sprache - auf der kühlen Distanz ihrer Perspektive. Sie verzichtet auf jegliche Psychologisierung und die Suche nach vordergründigen Erklärungen.

Marie-Luise Scherers unkorrumpierbare Haltung macht in Verbindung mit ihrer präzisen Sprache auch ihre anderen Paris-Reportagen – etwa über den "letzten Surrealisten" Philippe Soupault oder eine Haute-Couture-Modenschau - zu ganz besonderen Leseerlebnisssen. "Was sie beschrieb", bewundert Martin Mosebach im Nachwort ihren Realismus, "wurde wirklicher als wirklich."

Eine Rezension von Peter Meisenbach

Literaturangaben:
Marie-Luise Scherer: Die Bestie von Paris und andere Geschichten
Friedenauer Presse, 2023
193 Seiten, 20 Euro