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Buchcover: "Hundeherz" von Hiromi Itō

Lesefrüchte

"Hundeherz" von Hiromi Itō

Stand: 19.04.2024, 14:36 Uhr

In Kalifornien stirbt die Schäferhündin Take, in Japan der geliebte Vater. Hiromi Itō erzählt eine unvergleichliche Familiengeschichte!

Vor fünfzehn Jahren ist die japanische Dichterin Hiromi Itō mit ihren Töchtern Kanoko, Sarako und Tome nach Südkalifornien gezogen. Zur Familie gehören außerdem der streng riechende Schuppenpapagei Pi-Chan, der fünfjährige Papillon-Rüde Nico und ein zunächst nur kurz als "ziemlich widerwärtiger Hundehasser" eingeführter Ehemann, von Beruf Künstler und sehr alt. Vor allem aber: Take, die eigentliche Heldin der Geschichte und Besitzerin des titelgebenden "Hundeherz".

Take wog zu ihren besten Zeiten 40 Kilo und verteidigte Frauchen und Kinder leidenschaftlich gegen alle Welt. Doch jetzt ist sie alt und wird bald sterben. Hiromi Itō beschreibt den Verfall des geliebten Tieres ohne jede Scheu, falsche Scham und auch ohne Sentimentalität. Take wird von Tag zu Tag schwächer, die Sinne versagen und bald auch Blase und Schließmuskel. Es riecht nicht gut in diesem Buch.

Wie jedes Kind weiß allerdings auch Hiromi Itō, dass die fragilen Funktionen von Körpern und Ausscheidungen aller Art exzellentes Material für Humor sind. Und Humor wiederum ist eine unersetzliche Hilfe im Umgang mit Schmerz. Wenn Take vor Schwäche von der Bordsteinkante fällt, dann tut das weh, ist aber auch Slapstick. Aber es ist nicht nur Take, die stirbt.

Während die Schäferhündin mühsam ihre letzten Markierungen auf dieser Erde hinterlässt, stirbt im fernen Japan auch Hiromi Itōs Vater. Sie fliegt hin, so oft sie kann. Aber sie fühlt sich schuldig, weil der Vater nur seinen treuen Hund Louis zur Gesellschaft hat. Und Hiromi Itō weiß, dass sie Take irgendwie auch stellvertretend für den fernen Vater so hingebungsvoll pflegt. Ein Hund und ein Mensch sterben, die Parallelen sind unübersehbar, und Hiromi Itō erzählt von beiden auf unvergleichliche, bei aller scheinbaren Simplizität doch beinah rätselhafte Weise.

In einem Interview erklärte Itō kürzlich den schillernden buddhistischen Begriff "saha": Saha ist so etwas wie das Gegenteil von Nirvana. Eine unerschöpfliche Quelle des Leids, aber auch: ein Versprechen von Freude. Vielleicht erklärt diese buddhistische Gelassenheit im Angesicht von Schmerz und Tod die kleinen Wunder, die sich in "Hundeherz" ereignen.

Der Vater stirbt, Take stirbt. Tome zündet Weihrauch an, Sarako stellt einen Topf Orchideen neben den toten Hund. Und dann geht das Leben weiter. Hell und dunkel, mit Freude und Leid. Und wer Hiromi Itōs ruhiges, warmes und unendlich kluges "Hundeherz" liest hat darüber Grundlegendes gelernt. Ganz sanft.

Eine Rezension von Uli Hufen

Literaturangaben:
Hiromi Itō: Hundeherz
Aus dem Japanischen von Irmela Hijiya-Kirschnereit
Matthes & Seitz Berlin, 2024
237 Seiten, 20 Euro