Lesefrüchte
"Wünschen" von Chukwuebuka Ibeh
Stand: 28.05.2024, 13:37 Uhr
Das Leben des jungen Nigerianers Obiefuna ändert sich schlagartig als sein Vater herausfindet, dass er homosexuell ist. Obiefuna wird aus seiner Familie verbannt und begibt sich von da an auf eine nicht enden wollende Suche nach Verbundenheit.
Freiheit und Liebe sind alles, was Obiefuna begehrt. Wünsche, die ihm seine Mutter stets zu erfüllen versucht, die seinem Vater aber egal zu sein scheinen. Chukwuebuka Ibehs "Wünschen" ist ein Bildungsroman, in dem ein autoritärer, gewaltbereiter Vater, die freie Entfaltung von Persönlichkeit und Geist seines Kindes einschränkt. Denn als der Vater seinen Sohn in einem intimen Moment mit einem anderen Jungen überrascht, schiebt er ihn in ein strenges christliches Internat im Süden Nigerias ab.
Zwar ist Obiefuna im Internat nicht mehr der körperlichen Gewalt seines Vaters ausgesetzt, muss sich dafür aber mit sadistischen und sexuell getriebenen älteren Mitschülern auseinandersetzen. Schnell entwickelt Obiefuna eine eigene Überlebensstrategie. Diese besteht hauptsächlich darin, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Obiefuna gewinnt aber auch an Selbstvertrauen, als er realisiert, dass er nicht der einzige Homosexuelle im Internat ist.
Als Student geht Obiefuna zum ersten Mal offiziell eine Beziehung ein. Es scheint, als habe er sein Glück endlich gefunden. Doch dann erlässt das nigerianische Parlament im Mai 2013 ein Gesetz, das gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stellt. Obiefunas Partner Miebi gibt dem Druck der Gesellschaft und seiner Familie nach und heiratet eine Frau. Obiefuna kehrt trotz aller Differenzen zu seinem mittlerweile dementen und alleinstehenden Vater zurück.
Der Autor Chukwuebuka Ibeh macht das Verlangen nach Liebe und Geborgenheit seines Protagonisten mit präzise gewählten Worten spürbar. Obwohl Ibeh einen allwissenden Erzähler wählt, lernt man als Leser nur Obiefuna wirklich kennen. Seine Entwicklung steht im Vordergrund. Die anderen Romanfiguren spielen lediglich kurze Nebenrollen, die Obiefunas Wege kreuzen.
So sind die Namen der zahlreichen Mitschüler und Studenten, mit denen der Protagonist Freundschaften schließt und sexuelle Erfahrungen macht, schnell vergessen. Mit dieser Erzählstrategie wird die Vergänglichkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen in Obiefunas Leben deutlich. Ein gefühlvolles Debüt, das Einblicke in die gesellschaftliche und politische Lage Nigerias der 2010er Jahre gewährt und dabei tief berührt.
Eine Rezension von Isabelle Stier
Literaturangaben:
Chukwuebuka Ibeh: Wünschen
Aus dem Englischen von Cornelius Reiber
S. Fischer, 2024
320 Seiten, 24 Euro