"Zitronen" beginnt in einem nicht näher beschriebenen Dorf in der österreichischen Provinz. Hier lebt die Familie Drach. Im Zentrum steht August, ein Junge, der noch nicht ganz an der Schwelle zur Pubertät steht. Der Vater ist ein grausamer Schläger. Die Mutter schaut der Tortur des Jungen zu. In einer Art Übersprungshandlung ist sie immer nur dann zärtlich, wenn sie dessen Blessuren pflegt.
Als der Vater schließlich spurlos aus dem Dorf verschwindet, erlebt August allerdings keine große Befreiung, sondern seine Qualen beginnen erst richtig. Seine Mutter leidet am Münchhausen- Stellvertreter-Syndrom. Sie verabreicht ihrem Sohn heimlich Medikamente, damit er krank wird und sie sich um ihn kümmern muss.
Valerie Fritsch hat dieses Krankheitsbild genau recherchiert, dieser fiktionale Fall ist durchaus plausibel. Es handelt sich eher um einen Roman, der Stimmungen auskostet, als um eine handlungsbasierte Erzählung. Valerie Fritsch nutzt eine sehr bildreiche Sprache voll starker Vergleiche. Eine Prosa voll treibendem Rhythmus‘, der trotz teils ausufernden Satzbaus und einem rauschhaften Anteil dennoch präzise bleibt.
Dieser vierte Roman der aus Graz stammenden Autorin und Fotokünstlerin Valerie Fritsch bleibt wie auch die Vorgänger mit unter 200 Seiten ein eher schmales Buch, das durch seine überbordende Sprache und Intensität aber deutlich umfangreicher wirkt. Der Roman ist von der ersten Seite an eine emotional herausfordernde Reise, die einen auf poetische Weise mit einer merkwürdigen Krankheit vertraut macht.
Eine Rezension von Christoph Ohrem
Literaturangaben:
Valerie Fritsch: Zitronen
Suhrkamp Verlag, 2024.
186 Seiten, 24 Euro.