Autorin im Gespräch
Felicitas Prokopetz über "Wir sitzen im Dickicht und weinen"
Stand: 11.04.2024, 19:14 Uhr
Valerie hat zwei Rollen gleichzeitig zu erfüllen. Sie ist alleinerziehende Mutter eines 16-jährigen Sohnes, der sich allmählich abnabelt. Zugleich ist sie die Tochter von Christina, die gerade eine Krebsdiagnose erhalten hat.
Die Beziehung zwischen Valerie und ihrer Mutter ist nicht einfach. Eigentlich verstehen die beiden sich nur, wenn sie wenig Kontakt und viel Distanz zueinander haben. Doch nun muss die Mutter ins Krankenhaus und ist auf die Unterstützung ihrer Tochter angewiesen. Doch so sehr Valerie sich auch bemüht in ihrer Unterstützung, Christina ist nie zufrieden und immer voller Vorwürfe. Und obwohl Valerie genervt und wütend ist, schwingt die Angst um ihre Mutter immer mit. Nach und nach wird deutlich, wieso Christina so schwierig ist. Sie selbst hat nie die Liebe ihrer Mutter erlebt. Und sie hat Valerie ebenso allein erzogen wie die nun ihren Sohn Tobi, an den sie sich klammert.
Felicitas Prokopetz erzählt von feinen Beobachtungen, die zeigen, wie Familie prägt. Dazu gehören Eltern, Großeltern oder Geschwister. Wir lernen die Familien von Christina und ihrem Ex-Mann Roman kennen, in denen für alle auch noch die Kriegsvergangenheit erzählt wird. Vor allem die Frauenfiguren und ihr Erleben werden über mehrere Generationen hinweg schlaglichtartig beleuchtet. Wie ihre Erlebnisse oder unverarbeiteten Traumata immer wieder auf die nächste Generation übergehen, das macht dieser bei all der geschichtlichen Fülle erstaunlich kurze Roman nachvollziehbar. Wenn nicht für die Figuren untereinander, so doch für uns Leserinnen und Leser.
Die eigenen Lebenserfahrungen und Verletzungen bilden das emotionale Dickicht, in dem der Mensch gedeiht. "Wir sitzen im Dickicht und weinen" ist ein ernster und sehr klar erzählter Roman, der die Widersprüche innerhalb von Familien aufzeigt. Ein erstaunlich reifes Debüt.
Eine Rezension von Barbara Geschwinde
Literaturangaben:
Felicitas Prokopetz: Wir sitzen im Dickicht und weinen
Eichborn Verlag, 208 Seiten, 22 Euro