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WDR 4-Podcast "immer frei - so geht Rente"

Transkription: Fifty shades of beige – stylish in die Rente

Stand: 28.02.2024, 06:00 Uhr

Transkription 

[00:00:01.710] - Jingle
"immer frei - so geht Rente". Ein Podcast vom WDR.   

[00:00:09.020] - Götz Alsmann

Ich bin kein Freund davon, meinen Adamsapfel unbekleidet in der Weltgeschichte rumzutragen.

[00:00:14.060] - Matthias Bongard

Das ist der Existenzialisten-Rolli. Das glaubst du?

[00:00:17.600] - Götz Alsmann

Der gesamte Sparclub trägt das jetzt seit Eintritt in die Rente. "Heinz, dann trägst du das jetzt auch." Und Heinz Heinz hat sich sowieso nie dafür interessiert und sagt: "Ja, Mutti, das mache ich."

[00:00:29.870] - Gerd Müller-Thomkins

Die Freiheit, sich selbst zu sein und dementsprechend sich darzustellen, das ist doch eine ungeheure Freiheit. Und die sollte man auch auskosten.

[00:00:36.530] - Götz Alsmann

Du siehst aus wie jemand, dem es scheißegal ist. Und ich weiß, es ist dir scheißegal. 

[00:00:42.920] - Matthias Bongard
Das ist so.

[00:00:43.220] - Matthias Bongard
Ganz herzlich willkommen zu dieser Folge, sagt Ihnen Matthias Bongard zu dem Podcast. "immer frei - so geht Rente". Und wenn Sie sich mal die Folgen der vergangenen Wochen und Monate anschauen, werden Sie feststellen, das sind Tippsgeber oder Ratgeber oder unterstützende Informationsgeber, wenn Sie wollen zu allen möglichen Themen wie Finanzen wie: Was mache ich mit der ganzen Zeit, wenn ich in Rente gerate? Wie geht es mit der Paarbeziehung weiter, wenn man sich den ganzen Tag auf der Pelle hängt? Was ist mit dem Thema Altersarmut? Bedroht es mich und, und, und. Und Ich bin mir sicher, ohne zu wissen, was wir heute besprechen, dass diese Folge etwas anders sein wird als die anderen. Ich stelle aber erst mal die Gäste vor und dann wird es, glaube ich, klar. Zum einen begrüße ich den Leiter des Deutschen Modeinstituts - einer Institution, die es schon lange gibt in Köln. Herzliches Willkommen an Gerd Müller-Thomkins!

[00:00:36.870] - Gerd Müller-Thomkins
Hallo!

[00:00:37.220] - Matthias Bongard
Und der andere Gast ist der Musiker, Entertainer, Moderator Götz Alsmann. Götz, auch Dir herzlich willkommen!

[00:01:37.790] - Götz Alsmann

Herzlichen Dank auch an Gerd. Einen herzlichen Gruß!

[00:01:41.060] - Gerd Müller-Thomkins

Götz, Hi!

[00:01:41.870] - Matthias Bongard

Jetzt könnte man zu Recht sagen Was machen die denn beim Thema Rente? Ich löse jetzt schon auf. Wir wollen uns heute mal über das Thema Mode oder Style oder das richtige Anziehen auch in den Übergangsjahren vor der Rente und in der Rente unterhalten. Und wer zu Recht jetzt sagt: "Warum sitzen da drei Kerle und keine Frauen?" Wir haben uns überlegt, dass Frauen in aller Regel mehr auf sich achten, was Kleidung angeht und da umsichtiger sind und viel bewusster rangehen. Zu sagen, "das ziehe ich zu dem und dem Anlass an". Frage an Herrn Müller-Thomkins: Steile These von mir oder machen Sie da ein paar Ausrufezeichen dran?

[00:02:17.450] - Gerd Müller-Thomkins

Nö, das ist natürlich so, und das spiegelt ja auch der Markt wider, um da direkt mal irgendwie mit Zahlen oder so zu kommen. Zwei Drittel dessen, was gekauft wird, wird von Frauen gekauft - und außerdem wissen wir ja auch, dass die Frauen uns immer so ein Stück weit voraus sind. Also zumindest was das Bewusstsein für Mode angeht, die Modeaffinität. Und von daher kann man diese These also durchaus verifizieren.

[00:02:42.650] - Matthias Bongard

Gibt es über Frauen auch weniger zu lästern?

[00:02:45.380] - Gerd Müller-Thomkins

Nö, ich glaube, da gibt es eine ganze Menge zu lästern, wenn man das möchte. Weil, na ja, nun, die Frauen haben ja auch einen Grund, und Männer haben, ich glaube, zukünftig oder auch gegenwärtig immer mehr Gründe, sich gut anzuziehen. Aber was die Geschlechtsbeziehung in der Vergangenheit anging, hat ja das Ausstaffieren, das sich Hübschmachen, das sich Schmücken und so weiter auch durchaus einen realistischen Hintergrund, der übrigens im Alter nicht verloren geht. Wie man jetzt schon vorausblickend sagen kann.

[00:03:15.410] - Matthias Bongard

Götz, ist das deine Beobachtung auch? Ohne Zahlen zu wälzen.

[00:03:18.020] - Götz Alsmann

Ja, ich glaube, dass viel mehr Frauen Kleidung kaufen, weil sie auch ihre Männer gleich mitversorgen. Ich denke, dass meine Generation, unsere Generation, vielleicht die letzte Generation ist, die das noch erlebt hat. Dass die Mutti den Vati einkleidet. Ja, dass der Vater morgens aufstand, um zum Dienst zu gehen, wie man früher so schön sagte, wenn er irgendwas am Schreibtisch machte. Und dann lag da sein Oberhemd, seine Socken und sein Schlips schon für ihn ausgesucht. Und wenn er Fragen stellen wollte: "Welchen Anzug soll ich anziehen?" Dann hat seine Frau vielleicht gesagt: "Den anderen." Und so glaube ich, dass sehr viele Männer sich sehr entrissen und kritiklos von ihren Frauen haben einkleiden lassen. Das ist dann irgendwann abgestorben und das sieht man dann auch. Die Männer interessieren sich ja unter Umständen nicht mehr. Für diejenigen, die so gestrickt waren oder sind, das, dass sie sich so bekleiden lassen. Sie sind auch nach wie vor nicht interessiert.

[00:04:12.080] - Gerd Müller-Thomkins
Aber die sterben aus.

[00:04:13.300] - Götz Alsmann
Ja. Aber es gibt Musik für an Musik desinteressierte Menschen, die sich Millionenfach verkauft. Und so gibt es eben auch Kleidung für an Kleidung nicht interessierte Menschen, die sich auch gut verkauft.

[00:04:21.650] - Matthias Bongard

Wenn ich mir die Männer vor ein paar Jahren angeguckt habe, dominierte die Farbe Beige. Deswegen haben wir uns auch schon gefragt: Ist Beige eine Farbe oder ist das eine Diagnose? Gerade fängt an, die Jugend beige zu tragen. Hat das schon was mit Mode und Zeitströmen zu tun?

[00:04:37.400] - Gerd Müller-Thomkins

Ja, das hat auf jeden Fall immer was mit Mode und Zeitströmen zu tun. Beige ist ja, nun ja, wie soll ich sagen, die die farbigste Neutralfarbe, die man finden kann. Aber wenn wir jetzt in die Zukunft gucken - und das machen wir als deutsches Mode Institut, dann wird die Zukunft wesentlich bunter, Farben prächtiger. Wir sprechen da ja auch von, oder man spricht da auch vom Dopaminschub, den man durch Mode bekommt oder sich zugefügt hat, nach. Der Zeit der modischen Abstinenz nach der Zeit, wo man nur im Homeoffice gesessen hat und keiner wusste, was man wirklich anhatte, zumindest unterhalb des Bildschirms.

[00:05:14.350] - Götz Alsmann

Das ist natürlich das Klischee, dieses rentnerbeige Klischee hat nichts zu tun mit beigefarbenen Anzügen oder einer Chinohose oder einem beigefarbenen Kamelhaarpullover oder so was. Dieses typische Rentnerbeige der 90er und Nullerjahre. Und das stirbt jetzt langsam aus. Das ist die Hose, die Du mit dem Reißverschluss unterm Knie kürzer machen kannst. Das sind die Westen mit ganz vielen Taschen. Und das ist dann noch die Ton in Ton dazu passende Sommermütze mit den Lüftungslöchern am Rand. Und das ist typische, von der Mutti ausgesuchte Garderobe. Ganz klar. Das ist weniger die Farbe. Gut, das sind alles so Beigetöne in der irrsinnigen Meinung "alle Beigetöne passen gut zusammen". Das ist schon mal eine totale Fehlkonzeption. Aber hier geht es wirklich darum, dass man sagt, "der gesamte Sparclub trägt das jetzt seit Eintritt in die Rente. Heinz, dann trägst du das jetzt auch". Und Heinz hat sich sowieso nie dafür interessiert und sagt: "Ja, Mutti, das mache ich". Es ist also weniger beige Mode. Es ist noch nicht mal beige Kleidung. Es ist bestenfalls ein ganz schwer in die Hose gehender beiger Stil.

[00:06:19.960] - Matthias Bongard

Was passiert in deinem Kopf, Götz, wenn du diese Modeströme oder wenn du sagst, nicht mal Modeströme beachtest: Fängst du innerlich an, mit dem Kopf zu schütteln und zu sagen: "Das ist würdelos oder das ist haltungslos." Oder welche Worte fallen dir dazu ein?

[00:06:36.040] - Götz Alsmann

Ja, würdelos ist es eigentlich nicht, wenn einer sich Gedanken macht. Auch wenn es daneben geht, dann ist es einfach ein Versuch, der eben nicht funktioniert hat. Eher würdelos finde ich, wenn ich beobachte, wie egal Menschen ihre Kleidung ist. Warum? Weil sie auf diese Weise, glaube ich, kein Selbstwertgefühl transportieren. Sie transportieren eine Negierung des eigenen Werte, seine Negierung des eigenen Auftritts.

[00:07:04.600] - Gerd Müller-Thomkins

Und das relative Unbewusstsein seiner selbst. Ich weiß auch gar nicht, ob wir an der Stelle, wo wir jetzt über ältere Generationen sprechen, über über ganz bestimmte Altersgruppen sprechen, ob wir da immer über Mode sprechen müssen oder ob über Stil? Und weil Stil hat ja nichts, würde ich jetzt auch nicht sagen, aber Stil hat im Großen und Ganzen nichts oder wenig mit Mode zu tun. Stil ist mehr das Bekenntnis zu seinem eigenen Charakter oder die Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit. Ich glaube, so ähnlich hat das mal Tom Ford, ein berühmter bekannter Designer, ausgedrückt.

[00:07:42.580] - Götz Alsmann

Ich kenne die Definition von Hugo Jacomet, der sagt: Stil ist, was ich mir selber aussuche. Mode ist das, was mir gesagt wird, was ich anziehen soll." Aber wir sind natürlich fasziniert von Männern, jetzt in dem Fall, die sich nicht scheren um die Mode, aber sehr wohl scheren um ihren Stil. Ganz einfaches Beispiel: Als ich Schüler war, Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, hatte es in unserer Schule einen Religionslehrer. Der hat sich offensichtlich in den 50er-Jahren ein halbes Dutzend Maßanzüge machen lassen. Exzellent geschnittene, tolle Anzüge - aber exzellent geschnitten im Stil, sagen wir mal 1954/55. Also elefantenförmige Hosenbeine, Zweireiher, sehr lange Zweireiher, mit ultrabreitem Revers und so weiter. Und die zog er ungerührt in den 60er-Jahren an, als alle plötzlich diese kurzen Sakkos hatten mit den schmalen Revers. Die trug er auch ungerührt in den 70er-Jahren, als die Figur, als der Zuschnitt, sich vielleicht wieder ein bisschen an die 50er anlehnt, zumindest was die Reversbreite anbetraf, aber völlig andere Stoffe. Der Siegeszug des Polyester. Für viele dieser Sakkos mussten Hunderte von Polyester sterben. Aber dieser Mann sah immer so aus - und man machte erst mal Witze und dann hatte man sich an ihn gewöhnt. Und dann haben wir ihn alle bewundert. Wir haben ihn bewundert, wie er vollkommen losgelöst vom Rest der Welt mit seinem Look zufrieden war. Und ganz ehrlich erstellte auch was dar. Dieser Mann war ein Unikum, aber er war auch ein Individualist. Das haben wir bewundert.

[00:09:09.790] - Matthias Bongard

Götz, der Individualist bist du ja auch schon seit vielen, vielen Jahren. Was ist es für dich, sich so anzuziehen, wie du dich wandest? Ist es eine Frage von Stil, von Eleganz? Von was darstellen? Ist das für dich klargezogen?

[00:09:24.790] - Götz Alsmann

Nein, das ist sicherlich eine Mixtur aus all dem, aber ich glaube, dass man ein Bild von sich hat. Und niemand kann einem verbieten, dieses Bild so gut es irgendwie geht, Wirklichkeit werden zu lassen. Das ist ja nicht unbedingt eine Frage teurer Marken oder so etwas, sondern erst mal trifft man zwei, drei Entscheidungen. Also ich habe keine Jeans, besitze keine Jeans, ich bin kein Freund davon, meinen Adamsapfel unbekleidet in der Weltgeschichte herum zu tragen. Und ich fühle mich wohler im Sakko als im Pulli. Das sind so drei ganz einfache Sachen. Ich habe auch keine Turnschuhe oder Sneaker, wie man heute sagt. Das sind so ein paar ganz kleine Geschichten. Und wenn man denen folgt, dann nehmen die Leute das eher wahr, als man selber vielleicht glaubt, weil sie so ans Herz des Kleiderkanons rühren von denen, die sich für Mode oder Verkleidung nicht interessieren.

[00:10:19.860] - Matthias Bongard

Und für dich gibt es auch keine Form von Anpassung, dass du sagst, wenn ich ins Fußballstadion gehe, dann wäre eine andere Kleidung passender, sondern ...

[00:10:27.720] - Götz Alsmann

Nein. Höchstens mal bei Minustemperaturen.

[00:10:29.520] - Matthias Bongard

Ja, aber der Anzug ist für dich im Fußballstadion genau an der richtigen Stelle.

[00:10:34.500] - Götz Alsmann

Da würde ich dann eher ein sportives Tweed-Sakko tragen als vielleicht einen dunkelblauen Anzug. Aber ja, da gibt es gibt es sicherlich Möglichkeiten, sich da entsprechend zu gewanden. Aber das muss auch gar nicht für andere Leute wichtig sein. Ich finde es einfach nur wichtig, dass man für sich selber beschließt: Mir ist nicht egal, was ich trage.

[00:10:52.770] - Gerd Müller-Thomkins

Ich glaube, das hat ja auch viel mit Prägungen zu tun. Und wenn man da in sich hineinhorcht oder zurückdenkt, woher das vielleicht kommen konnte, dann gibt es da immer Momente, die einem in Erinnerung geraten, von wem und von welchem Umfeld man unter Umständen geprägt worden ist. Bei mir ist das eindeutig. Sind das meine Eltern und auch ein Umfeld. Ich bin zwischen Stoffballen aufgewachsen, also zwischen Kuchen, und mein Vater hat mit Inneneinrichtung zu tun. Und wenn ich heute alte Bilder von dem sehe, dann aus den 50er-Jahren, aus einer Zeit, wir haben damals auch darüber gesprochen, Götz, wo niemand wirklich was hatte und wo alle wunderbar angezogen waren, weil Bekleidung letztlich auch die Definition, ich sage mal der eigenen ästhetischen Zukunft war unter Umständen. Und dann trug man den Nadelstreifen, der übrigens auch, um das Fußballstadion wieder aufzugreifen, eben für alles kompatibel ist. Der Anzug ist ja so gemacht, dass er immer wieder in seine Form zurückfällt und einem nicht irgendwie über die Schulter rutscht, das Sakko.

[00:11:54.630] - Götz Alsmann

Schau dir die Fotos von Fußballfans in den 50er-, 60er-Jahren an, der Trenchcoat.

[00:12:00.000] - Gerd Müller-Thomkins

Trainer, die Trainer auch mit Krawatte.

[00:12:01.380] - Götz Alsmann

Der Trenchcoat war eigentlich das Kleidungsstück Nummer eins für Fußballfans. Und statt des Fanschals gab es eben doch eher lieber einen Seidenschal. Also so sehen die Bilder aus meinem Vater, aus dem Fußballstadion.

[00:12:14.010] - Gerd Müller-Thomkins

Das heißt, diesen Stil, den hat man vielleicht irgendwo auch mitbekommen, der ist geprägt worden. Und wenn man diesen Stil, dieses Stilbewusstsein hat, von dem man vielleicht gar nicht so genau weiß, dass man es hat, dann fällt einem auch das Styling, das ja aus dem gleichen Wortstamm nachher leicht.

[00:12:30.540] - Matthias Bongard

Gucken wir mal in das Styling der heutigen Tage. Es gibt auch in diesem Podcast schon öfter den zitierten Satz: "40 ist das neue 60", sagen ganz viele. Die Frage an beide: Merkt man das im Alltag, wenn man Männer beobachtet, wie sie sich kleiden? Dass Sie sagen: Alles dabei - bunt, schick, weniger schick? Entwickeln Männer einen eigenen Stil oder sagt jemand von ihnen: Es wird leider immer stilloser.

[00:12:55.200] - Götz Alsmann

Leider glauben viele, 60 sei das neue 16.

[00:12:58.290] - Gerd Müller-Thomkins

Ja, ja, ja, das ist das.

[00:13:01.170] - Matthias Bongard

Punktum: Die Übertreibung macht's. Der Jugendwahn?

[00:13:03.720] - Götz Alsmann

Sie glauben, Sie sind jünger, wenn Sie sich anziehen wie ihre Enkel.

[00:13:08.070] - Gerd Müller-Thomkins

Ja, da wird der. Da wird der Sneaker irgendwie zur Vermeidung der Arthrose angezogen und die Basecap eben, um den Haarverlust zu kaschieren. Also das, das ist schon so und ich weiß nicht. Ich habe da auch, weil du eben die Krawatte angesprochen hast, Götz, vor einiger Zeit auf einer französischen Modemesse - und dann kam mir jemand entgegen, eben mit dieser Basecap und einer Bomberjacke oder so was in der Art, das sind ja auch alles Stilistiken, die sehr fragwürdig sind. Und er sagte: "Ach, Sie tragen noch Krawatte." Und dann sagte ich: "Ja, wissen Sie, ich komme aus einer Generation, wo man das nicht musste, und jetzt ist das irgendwie freiwillig. Aber Sie mussten es wahrscheinlich damals tun, und deswegen betrachten Sie das jetzt als Befreiung, dass die Krawatten für mich nicht mehr anziehen."

[00:13:53.190] - Matthias Bongard

Für mich ein wichtiges Wort, das mit dem Müssen. Gerd Müller-Thomkins, Sie hatten, glaube ich, Götz im Jahre 2004 den Krawattenmann des Jahres als Titel zuerkannt. Den er bis heute mit Überzeugung trägt. Was ist mit all den Menschen, die sagen: "Ich bin sie endlich los?" Kann man es verstehen, wenn ich meine 30, 40 Jahre bei der Bank gearbeitet habe? Wenn ich eine Rolle spielen musste in meinem Job und kam gar nicht drum hin? Es war nie mein Stil, es war meine aufgezwungene Uniform. Kann da das Rentendasein nicht einfach eine herrliche Befreiung sein zu sagen: "Es passte nie zu mir - und jetzt darf ich endlich."

[00:14:28.380] - Götz Alsmann

Es scheint mir der Wechsel in eine andere, aufgezwungene Uniform zu sein.

[00:14:32.490] - Götz Alsmann

Die Nonkonformisten-Uniform, die Reinhard Mey schon besungen hat. Ja, es gibt ja auch viele Leute, die sich einfach nicht mehr trauen, sich schick anzuziehen oder sich.

[00:14:44.070] - Gerd Müller-Thomkins
Das ist der Punkt.

[00:14:45.490] - Götz Alsmann
Also es gibt ja jede Menge so Ratgeber: Wie kann ich aus meiner Jeans- und Turnschuh-, T Shirt-Ödnis so unbemerkt sartorial mich aufbrezeln, dass jetzt nicht alle plötzlich sagen: Was ist denn mit dem los? Sondern dass ich das vielleicht über sechs Wochen oder acht Wochen oder drei Monate hinausziehe. Und dann bin ich plötzlich der besser angezogene Kollege und keiner hat es so richtig wahrgenommen. So wie früher Leute zum Friseur gingen und sagten: Einmal bitte kurz, aber nicht so, dass man's sieht, ja. Und dann gibt es ebenso Tipps, die sagen: Werd erst mal die Turnschuhe los, zieh dir ein paar richtige Schuhe an, dann werd die Jeans los. Zieh dir mal irgendeine andere Art von Hose an, werd das T-Shirt los, versuchst du einfach mit einem offenen Hemd? Das gibt so graduelle Steigerung. Wer heute in die Rente geht, der ist in der Regel nicht mehr mit Krawattenzwang in den letzten 15 Jahren konfrontiert worden, das muss man ganz klar sagen, auch bei Sparkassen und in Verwaltungen schon gar nicht. Geh mal in Stadtverwaltungen, das ist ja das heulende Elend, was einem da. Polizeibeamte, die in zivil sind, die sehen ja nicht so aus wie Inspector Barnaby, sondern die sehen leider eher so aus wie die in deutschen Tatortkrimis.

[00:15:46.900] - Gerd Müller-Thomkins

Also Ästhetik sollte ja nun wirklich keine zwanghafte Vorstellung sein. Und ich war jetzt vor kurzem mal - ja, zufällig kann man nicht sagen - ich hab unseren jüngsten Sohn besucht in Afrika. Und da gibt es ja nun sehr große Unterschiede gesellschaftlich, was Armut und Reichtum angeht. Und auch da stellt man wieder fest, wie bei uns in Deutschland in den 50er-Jahren, dass die wirklich die Menschen, die sehr wenig haben, sehr, sehr gut angezogen sind. Unser Fahrer da, der lässt sich die Sachen selber schneidern und war jeden Tag irgendwie in einem neuen, sehr ästhetischen Outfit unterwegs. Das heißt, es geht gar nicht mal darum, wie viel Geld man hat oder in welchem direkten professionellen Milieu man sich bewegt. Es geht auch um ein ästhetisches Selbstbewusstsein. Was sich, was sich ja letztlich an einem Status orientiert, den man sich auch selbst verordnet.

[00:16:42.280] - Matthias Bongard

Und Respekt vor allem

[00:16:45.730] - Gerd Müller-Thomkins

Respekt vor dem Gegenüber. Wenn man jetzt unsere Gesellschaft betrachtet, die ja so wohlhabend ist, also im mehrfachen Sinne dieses Wortes "wohl und habend" und sehen und sieht, wie zerrissen, der Götz hat eben von den Jeans gesprochen, wo man mit durchlöcherten Jeans daherkommt. Und das ist ja dann eben auch Mode unter Umständen, dann kann man tatsächlich Hölzchen nicht mehr von Stöckchen unterscheiden. Wer ist hier eigentlich wer und was ist? Warum kaschiert man eigentlich den Status, den man unter Umständen erreicht hat auf diese Art und Weise?

[00:17:17.920] - Matthias Bongard

Machen wir es mal konkreter: Ich nehme mich als Person. Götz Wir sind in den vergangenen Jahren immer mal wieder durch einen sich überschneidenden Freundeskreis gemeinsam Essen gewesen. Du hast immer Anzug getragen. Ich wahrscheinlich nie. Wie habe ich da gegenüber gesessen in deine Erinnerung? Mit der ist verlottert oder der achtet da nicht auf sich. Was ist das?

[00:17:36.100] - Götz Alsmann

Ich habe ausschließlich auf seine wahnsinnig geistreichen Bonmots geachtet.

[00:17:40.840] - Matthias Bongard

Ich frage noch mal.

[00:17:43.000] - Gerd Müller-Thomkins

Ich kann da aber auch was zu erzählen.

[00:17:47.350] - Matthias Bongard

Es geht hier nicht um die Konfrontation, sondern einfach um die Denkweise des Gegenübers.

[00:17:51.010] - Gerd Müller-Thomkins

Ich weiß, ich kann da was zu erzählen. Zu mir kam mal, das war in dem Fall ein Fernsehredakteur vom Westdeutschen Rundfunk. Der hat mir also in den ersten fünf Minuten gesagt: "Wissen Sie, von Mode halte ich überhaupt nichts." Und dann sagte ich: "Na ja, gut, Sie kommen jetzt da aus dem na ja, leicht, na, ja, aus dem Milieu des Westdeutschen Rundfunks. So lassen wir es einfach mal - einem Intellektuellen-Milieu, was irgendwie die Mode für sich verschreit", sage ich. "Aber ich glaube schon, dass Sie sehr beeinflusst sind." Und dann sagte der "Wieso?" Und dann sagte ich: "Na ja, aber Sie haben irgendwie jetzt so von ihrer Herkunft her eine Dark-Denim-Jeans an, dazu rahmengenähte Budapester Schuhe, die Ihren sozialen Status irgendwie unterstreichen sollen. Und Zweireiher, weil Sie schon wissen, dass Sie in einem offiziellen Kontext unterwegs sind. Den haben sie aber nicht zugeknöpft, weil sie vermeintlich lässig aussehen wollen. Und der schwarze Rollkragenpullover - das ist eine Reminiszenz an Ihre linksliberale Einstellung." Sie sehen also, da gibt es eine ganze Menge an Items, die man an jemandem festmachen kann, auch wenn derjenige behauptet und als Attitüde nach außen gibt, dass er mit Mode eigentlich gar nichts zu tun haben möchte.

[00:18:52.000] - Matthias Bongard

Und der sich auch findet in dem Satz "Kleider machen Leute". Aber macht es mal konkreter, noch mal wieder. Ich nehme wieder mal mich. Ein Freund begrüßt mich sehr gerne mit dem Satz: "Gibst du immer noch dein ganzes Geld für Klamotten aus?" Und das macht er mit einem breiten ironischen Grinsen.

[00:19:09.280] - Götz Alsmann

Also so, wie wenn mich Leute fragen: "Hast du abgenommen?"

[00:19:14.620] - Matthias Bongard

Was ist unterschwellig in diesem Satz drin und wichtig, wenn er mir sagt: "Du machst was falsch, du könntest dir besseren, stilvoller Style gönnen?"

[00:19:25.060] - Gerd Müller-Thomkins

Gut, die Frage ist ja auch: "Was hält man von sich selbst, wenn man so daherkommt?"

[00:19:30.910] - Matthias Bongard

Was würden Sie denn bei mir diagnostizieren?

[00:19:33.790] - Gerd Müller-Thomkins

Ich weiß nicht. Ich sehe Sie ja jetzt im Moment nicht.

[00:19:37.120] - Götz Alsmann

Du bist gekleidet, wie ich das in aller Freundschaft sagen darf: "Du siehst aus wie jemand, dem es scheißegal ist. Und ich weiß, es ist dir scheißegal."

[00:19:45.850] - Matthias Bongard

Das ist so, ja. Was mache ich falsch?

[00:19:48.160] - Götz Alsmann

Entschuldigen Sie mein Französisch, meine Damen.

[00:19:49.930] - Matthias Bongard

Nein, nein. Es ist so. Es war immer so, und auch meine Frau sagte. "Ich weiß, dass ich dich da nicht ändern kann." Denn am Anfang dachte ich, es sei Nachlässigkeit. Ich weiß jetzt seit vielen Jahren, es ist dir scheißegal. Deswegen frage ich ja ganz offen und ehrlich: Was fehlt mir da und was tue ich meiner Umwelt damit an?

[00:20:08.020] - Gerd Müller-Thomkins

Lässig ist eben - also lässig ist noch lange nicht nachlässig. Beziehungsweise die Nachlässigkeit ist keine Lässigkeit anders ausgedrückt. Das ist vielleicht das, was man damit ausdrücken möchte. Und wenn man dann nicht genügend Kontext hat oder sich selbst verordnet, dann führt das unter Umständen eben zu so einer schlampigen Nachlässigkeit, die dann lässig rüberkommen soll. Aber ich glaube, die Zeit ist auch vorbei. Götz, was meinst du?

[00:20:31.600] - Götz Alsmann

Ich glaube das auch. Ich glaube, dass immer mehr Leute sich interessieren für Kleidung. Ich sage jetzt nicht mal Mode oder Stil für Kleidung. Und viele werden jetzt plötzlich seit ein paar Jahren mit für uns neuen Modebegriffen oder Stilbegriffen konfrontiert wie Sprezzatura. Das ist die italienische Spielart der Lässigkeit, die aber auch nur funktioniert, wenn man dufte Klamotten anhat. Und es ist einfach so: Das Bewusstsein für gutes Essen ist zumindest in der veröffentlichten Medienwelt deutlich gestiegen, wenngleich auch die Umsatzzahlen für Fertigschrott-Essen gesteigert sind. Aber so irgendwie Kochen, Kochbücher, interessante Herde. Das ist wahnsinnig gestiegen. Und viele Männer machen jetzt bestimmte Sößchen mit Trüffelöl und alles, was jetzt so in den letzten 15 Jahren so durch die Kochsendungen gegangen ist, vor 20 Jahren - mit demselben Bewusstsein an Kleidung zu gehen, darauf warte ich noch so ein bisschen.

[00:21:29.320] - Gerd Müller-Thomkins

So, das kommt, aber Götz, das kommt, weil man kann. Also ich habe neulich mal einen Vortrag gehalten über das Verhältnis zwischen Ernährung und Bekleidung. Und tatsächlich - und das kann jeder bestätigen - zuerst haben wir das Bio-Ei gegessen. Ja, weil wir irgendwie diese Hühner in Batterien nicht mehr sehen wollten und die Eier nicht mehr essen wollten. Das heißt, das Bewusstsein für Ernährung ist gestiegen, hin zu einer Bekleidung, die ja zu Recht irgendwie kritisiert wird von ihrer Herkunft, von ihrer Entstehung und ihrer Materialität, das heißt also hin zu nachhaltiger Bekleidung, nachhaltigem Essen. Insofern wird also auch eine nachhaltige Ästhetik auf uns zukommen, genau bei den Leuten, die eben dementsprechend ästhetisch auch ihre Speisen aussuchen.

[00:22:17.230] - Götz Alsmann

Die wir ja schon mal hatten, also die Bekleidungskultur vergangener Jahrzehnte hatte, hatte Maß-Garderobe, die man tausendmal ändern konnte, wenn sich die Figur änderte. Also das waren Stoffe, die haben wirklich was ausgehalten und man ging eben nicht mit jeder kleinsten Modeveränderung mit, sondern war als erwachsener Mann beispielsweise definiert in einem ganz speziellen Kanon, den man auslotete, aber nicht verließ. Ein Beispiel, was ich habe, ist, als ich bei der Bundeswehr mal war, eine kurze Episode in meinem Leben. Aber da gab es natürlich ganz strikte Bekleidungsvorschriften und wir hatten, wenn wir Wachdienste hatten, einen wachhabenden Unteroffizier, der war ein Feldwebel und der trug, der kannte genau die Bekleidungsvorschriften der Bundeswehr, der hatte sich seine Uniformteile schneidern lassen und lotete genau das aus, was noch so gerade genehmigt war. Also das war mehr elfenbeinfarben als olivgrau. Die Krawatten waren eine Spur breiter, das war alles noch so gerade eben und das war mit einem solchen Bewusstsein und einer solchen, ich sage es, Selbstverliebtheit zusammengestellt. Das war der porzellanerne Oberfeldwebel, den wir sehr verehrt haben.

[00:23:19.330] - Matthias Bongard

Für jemanden, von dem Götz ganz ehrlich sagt: "Mir scheint es scheißegal zu sein, was ich trage". Worüber ich mich zum Beispiel ärgere, sind so Modefirmen und Produkte, die ich so als bewusst ausgelöste Epidemie fast verstehe, wo dann alle das Gleiche tragen ein Hemd, auf dem das Gleiche draufsteht, dieser Markenname, das macht mir persönlich Pickel. Ich will die Marke nicht nennen, aber da machen amerikanischen Präsidenten gerne Urlaub, um mal ein Beispiel zu nehmen. Ich weiß nicht, wer darauf kommt. Was machen wir damit? Weil ich das, wenn ich in einen Flieger steige, in dem angehende Rentner 150 an der Zahl sitzen, tragen 50 von denen dieses Hemd und die anderen tragen alle von der gleichen T-Shirt Firma und von der gleichen Sneakerfirma und den gleichen Turnschuh-Labels das gleiche und dasselbe.

[00:24:07.300] - Götz Alsmann

Ja, aber das trifft auch für Leute wie dich zu. Ich meine, wenn ich dich beschreibe: Du trägst `ne Nietenhose, Denim-Nietenhose, wie sie wahrscheinlich auch nicht für dich extra geschneidert worden ist, sondern irgendwo da gekauft wurde, wo man die günstig erwerben kann.

[00:24:21.490] - Matthias Bongard

Das ist eine Jeans mit ein paar Nietenknöpfen.

[00:24:23.350] - Götz Alsmann

Das hieß früher Nietenhose. Ein dunkelblauer Pullover, kein Oberhemd drunter. Das das ist ein Look, den sehe ich bei sehr, sehr vielen Männern von 20 bis 80. Das ist der

[00:24:34.990] - Matthias Bongard

Das ist der Existenzialisten-Rolli.

[00:24:36.040] - Götz Alsmann

Das glaubst Du.

[00:24:38.890] - Gerd Müller-Thomkins

Also ich glaube, wir haben jetzt auf jeden Fall keine Kapazität, da einzusteigen, woher das wirtschaftlich kommt. Natürlich hat das was mit Konsumismus und Globalismus zu tun und so weiter, auch der Modewirtschaft. Aber der Götz hat es ja eben gerade gesagt, die Individualität, die kam mal eben von der Maßschneiderei. Danach ist das in die Masse, in die Konfektion, dann in die Konfektion übergegangen. Und das Ganze hat sich dann seinerzeit noch national verortet, also auch im nationalen ästhetischen Rahmen, der jetzt irgendwie überschritten worden ist, hin zu einer Gleichmacherei, die dann gleichwohl als Individualisierung beschrieben werden möchte, es aber eben überhaupt nicht ist. Ich habe tatsächlich auch noch meinen Maßanzug, Kreidestreifen, Zweireiher, Flanell im Schrank hängen. Den werde ich niemals weggeben. Mein Vater hatte im Keller, da stand ein Schrank. Und wenn ich damals als kleiner Junge die Tüten holen gegangen bin, dann habe ich da ein Hemd drin gesehen. Dann habe ich gesagt: "Sag mal, Papa, was ist das denn für ein Hemd?" Und dann konnte er mir das beschreiben. Woher das kam, dass er sich das in den 50er-Jahren irgendwie von Munde abgespart hat. Und all das, was wir heute beklagen, also am Verlust der Ästhetik in der Bekleidung, aber eben auch eben in der Vermischung von Bekleidung, in der Vermüllung letztlich unserer Ästhetik, in der Vermüllung von Bekleidung. Das muss sich auch wieder woanders hin entwickeln, das wird sich auch anders wieder entwickeln.

[00:26:08.550] - Matthias Bongard

Sie beide wanden sich bewusst mit Haltung und mit Überzeugung. Wenn wir jetzt aber noch mal bei angehenden Rentnern und meinetwegen auch Rentnerinnen sind. Was wünschen Sie sich an drei Sätzen, die Sie Ihnen sagen könnten, damit sie ein Bewusstsein haben - beziehungsweise darüber nachdenken und nicht sagen: "Ist mir doch scheißegal. Hauptsache ich habe frei und nehme, was im Schrank obendrauf liegt."

[00:26:30.990] - Gerd Müller-Thomkins

Aber das Frei ist doch schon mal ein wunderbares Stichwort. Wenn man diese Zeit schon hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen, dann sollte man vielleicht erst mal bei sich ganz persönlich anfangen und fragen: "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?" Wie das Woody Allen ausgedrückt hat. Und was bedeutet das eben für meine Bekleidung? Und wie will ich denn in Erscheinung treten, um auch nach wie vor gesehen zu werden und wahrgenommen zu werden und geschätzt und gewürdigt zu werden und respektvoll betrachtet zu werden? Was gehört da für mich dazu? Und dann ist das eine Form von Selbstverortung, einer ästhetischen, die man entweder honoriert bekommt - oder eben dann solche Kommentare bekommt wie Sie heute, Herr Bongard.

[00:27:14.820] - Götz Alsmann

Ja, das schreckt mich nicht. Das habe ich mir auch nur rausgenommen, weil ich mein Gegenüber seit 40 Jahren kenne.

[00:27:23.010] - Matthias Bongard

Ich möchte ja durch eine Ehrlichkeit und nicht durch so eine Understatement-Koketterie was wissen, sondern ich will ja Ihre Gedanken auch verstehen. Denn ich kenne es nicht anders, als dass man mich Schlunz nennt und deswegen will ich das ja ein bisschen ein bisschen verstehen. Ich versuche noch einen anderen Aspekt einzubringen. Man verlässt ja mit dem Berufsleben auch eine Rolle. Die meisten Menschen definieren sich ja über eine Rolle und trauen sich zum ersten Mal oder müssen auch aus dieser Rolle aussteigen. Man ist nicht mehr der Herr Bankdirektor, man ist nicht mehr die Hautärztin, man ist nicht mehr -und eine neue Rolle hat auch vielleicht was mit neuer Kleidung zu tun und neuen sich trauen, sich zu kleiden. Wo kommen wir da hin? In stilvoll, weil es zu mir passt? Oder was wäre die richtige Überschrift für Sie beide?

[00:28:13.170] - Gerd Müller-Thomkins

Götz.

[00:28:14.040] - Götz Alsmann

Ich bin noch nicht in der neuen Rolle, trotz meines vorgerückten Alter.

[00:28:18.210] - Matthias Bongard

Du bist ja auch Künstler. Du musst sie nicht verlassen. Das ist ein Privileg.

[00:28:22.080] - Gerd Müller-Thomkins

Ja, das stimmt. Da ist was dran.

[00:28:23.970] - Götz Alsmann

Früher, glaube ich, ist das nicht so an Lebensphasen festgemacht worden, sondern an Wochenphasen. Wenn mein Vater, der war Handwerker, der war zum Wochenende, dann ein Herr. Der hat sich zum Wochenende, auch wenn er nichts vorhatte. Bei uns spielte sich der Sonntag im heimischen Wohnzimmer zwischen internationalem Frühschoppen und Sonntagsbraten ab. Aber mein Vater trug dann Anzug und Krawatte, weil Sonntag war. Das war eine Selbstverständlichkeit.

[00:28:44.400] - Matthias Bongard

Die Kinder zum Kirchgang bekamen auch was Anderes angezogen.

[00:28:46.620] - Götz Alsmann

Selbst ohne Kirchgang.

[00:28:47.880] - Gerd Müller-Thomkins

Ja, aber selbst wenn wir das gar nicht so bierernst nehmen, das Ganze und sagen: Wenn wir jetzt schon von Rollen sprechen, dann gibt es ja im Theater diese die Rolle des verrückten Alten oder der verrückten Alten. Interessanterweise dann auch wieder weiblich besetzt. Man ist ja auch frei. Man ist frei in seinen Entscheidungen. Und verrückt heißt ja unter Umständen - für mich so verstanden - von der Mitte sozusagen nach rechts oder nach links verrückt, das heißt eben in die Position, wo man vielleicht sein möchte und so, wie man gesehen werden möchte. Also das heißt, die Freiheit, eben sich selbst zu sein, und dementsprechend sich darzustellen, das ist doch eine ungeheure Freiheit, und die sollte man auch auskosten.

[00:29:31.200] - Matthias Bongard

Würden Sie beide sagen, dass es keine Frage der Finanzen ist, ob man sich stilvoll anzieht?

[00:29:37.170] - Gerd Müller-Thomkins

Ja, auf jeden Fall. Keine Frage der Finanzen.

[00:29:38.620] - Götz Alsmann
Das sehe ich auch so.

[00:29:39.090] - Matthias Bongard

Das könnten Sie auch Menschen sagen, die von Altersarmut bedroht sind und die alles dreimal umdrehen, was die Münze angeht?

[00:29:46.290] - Götz Alsmann

Ja, gerade das. Es ist ja weit gefehlt zu glauben, dass diese Jeans im sonst was Look nichts kostet. Das ist ja. Es ist ja nicht so, dass das nichts kostet. Und auch sofort ging das los, dann mit Designerjeans und den Marken. Also das ist ja per se kein billiger Look und das andere ist per gut. Ich kann mir vielleicht jetzt nicht einen Anzug aus Harris Tweed schneidern lassen, denn das kostet ja viel Geld, das ist gar keine Frage. Ja, aber es gibt eben durchaus Möglichkeiten, sich dauerhaft funktionierende Kleidung mit einem kleinen Budget zuzulegen. Denn das Gute daran ist: Man muss nicht immer wieder was Neues ausgeben. Ich habe Maßschuhe, die habe ich schon 25 Jahre.

[00:30:24.930] - Gerd Müller-Thomkins

So ist das.

[00:30:26.370] - Götz Alsmann

Die waren teuer bei der Anschaffung, aber ich habe dann keine anderen mehr kaufen müssen.

[00:30:29.400] - Gerd Müller-Thomkins

Qualität ist ja nun der erste Schritt zur Nachhaltigkeit.

[00:30:32.310] - Matthias Bongard

Der Satz meiner Mutter: "Wir sind zu arm, um uns billige Sachen leisten zu können."

[00:30:36.990] - Gerd Müller-Thomkins

Da ist was dran. Außerdem gibt es heute und das ja auch unter dieser ganzen sehr berechtigterweise kritischen Diskussion um die Bekleidungsindustrie entstanden, dass es auch wieder einen Trend hin zu Secondhand gibt. Und dann gibt es auch First-Secondhand und so - und da kann man fantastische Sachen finden und sich dann dementsprechend auch anziehen. Also ich glaube, das ist überhaupt keine Frage des Geldbeutels. Das hat übrigens auch der vor sechs Jahren gestorbene Karl Lagerfeld gesagt, dass man das Wort billig nicht in den Mund nehmen sollte. Denn heutzutage gibt es ästhetische Bekleidung auch in allen Varianten, auch wenn das nicht unbedingt qualitative Varianten sind. Das heißt, da gibt es auch sehr, sehr preiswerte Bekleidung, die aber trotzdem ästhetisch dann die gleiche Erscheinung mit sich bringt.

[00:31:27.600] - Matthias Bongard

Ich wollte heute ohne Karl Lagerfeld, ich wollte heute ohne ein Zitat auskommen, das ist diese berühmte Zitat: "Wer in Jogginghose rumläuft, hat (die Kontrolle über sein Leben verloren).

[00:31:36.120] - Gerd Müller-Thomkins

Das hat er nachher wieder zurückgenommen.

[00:31:38.130] - Matthias Bongard

Er hat ja aber, glaube ich, auch teure Jogginghosen hinterher auch kreiert.

[00:31:45.180] - Gerd Müller-Thomkins

Deswegen hat er das ja auch zurückgenommen.

[00:31:47.940] - Matthias Bongard

Gucken wir noch mal kurz in diese Uniformierung. Also es gibt Berufsgruppen, da kann man immer klar sagen, es könnte genau passen mit diesem Rolli oder mit diesem Pullunder oder mit diesem Hemd. In der Kunst ist es ja noch ein bisschen anders, Götz. Also es gibt bestimmt von dir, verehrte, erfunden Kontrabassisten in einem schicken Anzug und in total verlottert. Da würdest du immer sagen, könnte ich mir vorstellen, "was er am Kontrabass macht, ist mir da das Wichtigste". Ist das so?

[00:32:18.030] - Götz Alsmann

Wenn ich alte Jazzcovers sehe auf diesen klassischen Jazzlabels wie Blue Note oder Riverside, Pacific Jazz oder Impulse! und so weiter. Das sind gern auf der Rückseite Schnappschüsse von der Aufnahmesession. Man staunt ja doch, wie bei dieser Arbeits-Session, wie korrekt gekleidet diese Musiker waren, diese Cannonball Adderley Band oder so etwas. In der Regel sind das schwarze Musiker gewesen, die dann einen Brooks-Brothers-Anzug trugen, einen schmalen Strick-Schlips dazu und ein Button-Down-Hemd. Das war damals genau eine - ich will jetzt nicht sagen revolutionäre - aber eine sehr sozialbewusste Haltung. Die haben gesagt: Schau mal, wir nehmen uns ernst, wir nehmen unsere Musik ernst, sogar hier im Studio. Wir sind hier im Studio so angezogen, als hätten wir jetzt einen Auftritt. Irgendwann haben wir das in unserer Band auch mal so gehalten, da haben wir gesagt, Wir machen Fotos. Wir sind in einem Studio in Paris. Wir werden unser ganzes Leben daran denken, dass ist der Höhepunkt unseres Musikerdaseins, dass wir eine Woche in Paris in einem legendären Studio arbeiten. Und dann schauen wir uns die Schnappschüsse an und sehen an, als wären wir beim Kohleholen fotografiert werden also das. Seitdem machen wir das auch im Studio und alle fühlen sich gut dabei.

[00:33:31.670] - Matthias Bongard

Mode in den Jahren vor dem Renteneintritt und dann in der Rente auch war das Thema unserer heutigen Podcastfolge. Ich danke Gerd Müller-Thomkins und Götz Alsmann, aber nicht ohne beide zu fragen: Welche Postkarte dürfen wir drucken, damit das Credo, das er und er im Kopf haben, wir vertreiben können? Also die Postkarte mit - da schreibe ich dann drunter Götz Alsmann. Da steht jetzt ein Satz drauf. Die vertreiben wir und eine mit Gerd Müller-Thomkins.

[00:33:57.740] - Götz Alsmann

Gerd, fang du mal an!

[00:34:01.040] - Gerd Müller-Thomkins

Tja. Tja, tja - ich würde sagen. Was steht da drauf? Auf der Postkarte steht drauf irgendwie: "Sei du selbst, aber sei gut angezogen und sehe gut aus, so wie du bist."

[00:34:18.020] - Matthias Bongard

Sei du selbst. Sei aber auch gut angezogen - und trotzdem sei so, wie du bist. Götz, Deine Postkarte.

[00:34:27.230] - Götz Alsmann

Ich nehme einen alten Sinnspruch. Da steht drauf: "Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance."

[00:34:34.910] - Gerd Müller-Thomkins

Sehr gut. Der war noch besser.

[00:34:37.730] - Matthias Bongard

Ich darf zwar eigentlich nicht mitmachen, aber ich glaube, ich würde eine Postkarte auswählen, auf der draufsteht: "Wenn ich bei mir im Ruhrgebiet nicht mehr eine alte Dame im Kittel oder jemanden mit Adiletten und Jogginghose an der Trinkbude sehen würde, täte mir das Herz weh." Ich danke dieser Runde. Herzlichen Dank"

[00:34:55.910] - Gerd Müller-Thomkins

Danke.

[00:34:57.010]- Götz Alsmann
Allergernst.

[00:34:57.680] - Jingle
Die U-Tipps - für alle, die noch mehr zu diesem Thema wissen wollen. Von und mit Ute Schneider.

[00:35:07.290] - Matthias Bongard

Und so kommt zum Glück ja doch noch eine Frau ins Spiel in dieser Folge. Ute, es ist sogar schlimmer als gerade beschrieben mit meinem Modebewusstsein. Ich weiß meistens nicht mal, wenn ich Menschen begegnet bin, was die anhatten. Bei dir habe ich nur vor dem geistigen Auge: Dich gibt es nicht in uni.

[00:35:23.370] - Ute Schneider

Nee. Hose greifen und dann gucken, was Buntes morgens dazu passt. Das ist mein Konzept für morgens. Das muss ja auch immer schnell gehen.

[00:35:29.790] - Matthias Bongard

Wen interessiert das, wie wir aussehen? Also rein in den Tipp-Kessel Buntes.

[00:35:34.170] - Ute Schneider

Ja, gerne mal beim Deutschlandfunk Kultur reinhören. Da gibt es einen Podcast. "Echtzeit" heißt er und da gibt es eine Folge "Jetzt nur noch Rentnerbeige- über altersgerechte Kleidung" und da wird darüber gesprochen, ob es einen Zeitpunkt gibt, ab dem gewisse Klamotten echt nicht mehr gehen. Und vor allen Dingen geht es darum, dass Klamotten für Ältere trotzdem trendy sein können. Und wenn Sie beim Deutschlandfunk sind, dann auch gerne den Artikel "Mode als Spiegelbild der Gesellschaft" lesen. Da kommt dann auch unser Gast Gerd Müller-Thomkins noch mal zu Wort.

[00:36:01.230] - Matthias Bongard

Bei mir gibt es immer was, was passt, weil ich lass so lange alles im Kleiderschrank liegen, bis es nach 20 Jahren wieder modern wird. Das Thema Mode ist ja prädestiniert fürs Gucken.

[00:36:12.090] - Ute Schneider

Und deshalb habe ich auch geguckt. Und da gibt es zum Beispiel in der ARD Mediathek wirklich eine ganze Menge. Zum Beispiel mal bei ARD Alpha die Serie gucken, die heißt "Unsere zweite Haut". Da gibt es Folgen wie "Mode und Geschlechterrollen" oder "Mode und Kleiderregeln". Und auch in der Arte Mediathek finden sich Beiträge über Mode. Einfach mal eingeben. "Mode, die schönste Nebensache der Welt".

[00:36:32.670] - Matthias Bongard

Oder die teuerste - kann man sich aussuchen. Unsere Gäste haben auch Tipps hier liegen lassen.

[00:36:38.520] - Sprecher 6

Ja, Gerd Müller-Thomkins zum Beispiel hat einen Tipp für Frauen dagelassen, und zwar das Online-Magazin "Heyday" für Frauen plus 45. Da gibt es nicht nur Modetipps, sondern auch Tipps, wie wir gut durch die Wechseljahre kommen. Und Götz Alsmann hat zwei Tipps fürs Netz dagelassen. Beide auf YouTube zu finden, einmal "Gentleman's Gazette" und einmal "The Chap's Guide". Da geht es darum, dass Männer einfach gut angezogen sind: schicke Schuhe, Hüte, Anzüge, alles das, was unsere Gäste ja sowieso schon empfohlen haben. Ne, Matthias?

[00:37:06.780] - Matthias Bongard

Apropos empfehlen. Ich empfahl seinerzeit dem Westdeutschen Rundfunk, als ich mal eine Fernsehsendung moderieren durfte, dass man mir jemanden zur Seite stellt, weil ich sonst in Jogginghose käme. Und ich war wirklich bass erstaunt, weil sie, die Stylistin, mir nicht nur was aussuchte, was passte, sondern was auch noch vernünftig aussah. Das hätte ich nie hingekriegt. Und meine Wertschätzung für Stylisten ist in dieser Zeit immens gewachsen.

[00:37:33.900] - Ute Schneider

Schön ist, dass Du es nicht beibehalten hat. Aber auch ich habe noch einen Tipp in Sachen Stylistin. Gerne mal beim WDR in der Mediathek gucken. Bei der Sendung Frau TV, da gibt es einen Beitrag über Simone, eine Stylistin aus dem Münsterland, die Frauen ab 50 berät. Und ich finde ihren Tipp super. "Lieber entspannt Älterwerden als angestrengt jung aussehen."

[00:37:51.750] - Matthias Bongard

Was ich mir mit Vergnügen noch angehört habe, war den Podcast von Oliver Kalkofe und Oliver Welke. Auch zwei Männer, die Styling-Tipps gebrauchen können, um das mal so zu formulieren. Kalk und Welk heißt dieser Podcast und da habe ich mir die Folge angehört Stylingtipps vom Boomer-Experten. Ich liebe die deutsche Sprache, also die fabelhaften Boomerboys, gerne mal reinhören. Wenn man uns hören will und ich öfter mal die Frage höre: Wo gibt es euch denn? Wo finden wir euch? Ganz, ganz einfach. Zum Beispiel unter WDR4.de oder in der ARD Audiothek und auch sonst überall, wo es Podcasts gibt. Gar nicht schwierig. Was auch nicht schwierig ist, sind die Tipps von Ute Schneider nachzulesen, denn die finden Sie auf unserer Internetseite immerfrei.wdr.de. Ute, Danke.

[00:38:38.310] - Ute Schneider

Bitte!

[00:38:40.630] - Jingle
Das war "immer frei. So geht Rente" mit. Matthias Bongard. Ein Podcast vom WDR. Mehr Infos gibt es bei immerfrei.wdr.de