Foto einer Aufführung von "Ein Ermordeter aus Warschau".

Musik der Zeit

Ein Ermordeter aus Warschau. Novoflot überschreibt Schönberg

Ein szenisches Konzert von Starautor Max Czollek, dem Enfant Terrible der Gegenwartsmusik Michael Wertmüller und der gefeierten Berliner Opernkompanie Novoflot.

Das Konzert steht für 30 Tage zum Nachhören bereit.

Ein Ermordeter aus Warschau. Novoflot überschreibt Schönberg

WDR 3 Konzert 25.10.2024 01:56:23 Std. Verfügbar bis 25.11.2024 WDR 3


1947 schrieb Arnold Schönberg das Melodram "A Survivor from Warsaw" ("Ein Überlebender aus Warschau") für Sprecher, Männerchor und Orchester und thematisierte mit seinem Werk die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto. Die Komposition ist ein erschütterndes Zeugnis brutalster Entmenschlichung und eines der wenigen Musikwerke, das den Holocaust konkret thematisiert.

75 Jahre nach der Uraufführung unternimmt die Berliner Opernkompanie Novoflot im Rahmen ihres mehrteiligen Schönberg-Projektes ("Die Harmonielehre") eine Überschreibung der Komposition vor dem Hintergrund historischer und aktueller Kriegs- und Vertreibungsszenarien. Das Libretto für diese besondere Uraufführung stammt von dem Berliner Schriftsteller Max Czollek, dessen Publikationen (darunter "Desintegriert euch" und "Versöhnungstheater") immer wieder weitreichende gesellschaftliche Debatten auslösen.

Komponist der Uraufführung ist Michael Wertmüller, enfant terrible der internationalen Gegenwartsmusik und über viele Jahre mit der Arbeit von Novoflot eng verbunden. "Ein Ermordeter aus Warschau" ist ein Musiktheaterhybrid, der sich zwischen Oper, Performance, Installation, Jazz-Gig und Konzert immer wieder neu ausrichtet. Neben der britischen Sängerin Rosemary Hardy, der israelischen Altistin Noa Frenkel und der japanischen Tänzerin Ichi Go wird der Librettist Max Czollek auch als Live-Performer zu erleben sein.

ROSEMARY
The journalist said to me: How do you manage to live with the fear?
[Der Journalist fragte mich: „Wie schafft man es, mit der Angst zu leben?”]

I repeated his question: How do you manage to live with the fear?
[Ich habe die Frage des Journalisten wiederholt: „Wie man es schafft, mit der Angst zu leben?”]

I said: You don't have any choice! I said You're afraid, that's all. Although...
[Ich habe gesagt: „Man hat keine Wahl! Man hat Angst, das ist alles, obwohl...”]

I tried to find the right words. I wondered what the words "war" or "fear" could possibly mean to this man who hadn't even been
[Ich suchte nach Worten. Ich fragte mich, was Krieg oder Angst wohl bedeuten mochten für ihn, der damals...]
born back then, for whom the word "airoplane" meant nothing more than a means of transport.
[noch gar nicht geboren war, für den das Wort Flugzeug einfach nur ein Transportmittel bezeichnete.]

From behind the rectangular lenses of his glasses, with their gold frames,
[Hinter seinen rechteckigen Brillengläsern in goldenem Gestell...]
he watched me attentively, professionally, neutrally, like a doctor.
[...hat er mich mit aufmerksamen, professionellen, neutralen Augen angesehen, wie ein Arzt.]

He said what interested him
[Er hat gesagt, was ihn interessiere, sei...]
was why I kept on talking about the same personal experience from the war.
[warum ich immer wieder auf dieselbe persönliche Erfahrung aus dem Krieg zu sprechen käme.]

I said: Well, as it happens among other experiences there was the war
[Da habe ich gesagt: Naja, unter anderem habe es halt den Krieg gegeben und es sehe wohl so aus...]
and it must have made a strong impression on me, maybe because I was too emotional, or too fragile,
[...als habe das einen starken Eindruck auf mich gemacht. Vielleicht, weil ich zu empfindlich sei...]
or else maybe I hadn’t had time to get used to it,
[...oder aber, weil ich keine Zeit gehabt hätte, mich daran zu gewöhnen...]
because for all practical purposes I was only involved in it for eight days and...
[...weil ich praktisch nur acht Tage daran teilgenommen hätte.]

He said Only eight days?
[Er hat gesagt: „Nur acht Tage?”]

I said Only that. Yes.
[Ich habe gesagt: „Nur. Ja.”]

I said all in one go that to get things straight once and for all we had to agree
[Ich habe dann schnell gesagt, dass man sich, um die Dinge ein für allemal klarzumachen...]
on what the words mean, that for instance when I said I’d fought in the war
[...über die Wörter einigen müsse. Zum Beispiel, wenn ich sagte, ich hätte am Krieg teilgenommen...]

I should make it clear that the word “fought” was very relative
[...verdeutlichen müsste, dass das Wort teilnehmen völlig relativ sei...]
given that I hadn’t even fired one shot with my rifle
[...da ich nicht einmal Gelegenheit gehabt hätte, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben...]
so it would be more accurate to say not that I’d fought in the war but that
[... und ich daher, statt zu sagen, ich hätte an ihm teilgenommen, hätte sagen müssen...]

I’d simply found myself caught up in it as you find yourself caught in a storm
[... ich sei in ihn hineingeraten. So wie man in ein Gewitter hingeraten kann.]
or a cataclysm
[... Oder in eine Katastrophe.]
and that even there those weren’t the right words because they probably give an impression
[... Und auch wenn Gewitter und Katastrophe nicht die richtigen Wörter seien, weil sie den Eindruck...]
of devastation, of a ravaged landscape, lunar, whereas in fact it was green, lush, pastoral,
[...von Verwüstung vermitteln, von verwühltem Boden, während dort alles grün war, üppig, idyllisch.]
except that at certain moments without warning this thing was suddenly upon you: the explosions,
[Außer, dass von Zeit zu Zeit urplötzlich diese Dinge passierten, die Explosionen...]
the crackling of machine guns, the deafening noise, the shouts, the panicked horses,
[...das Knattern der Gewehre, der ohrenbetäubende Lärm, die Schreie, das Wiehern der Pferde...]
after which it all returned to normal and then there was nothing left for you to do but try to catch your breath
[...wonach alles wieder ruhig wurde und man bloß noch versuchen musste, wieder zu Atem zu kommen.]
and count your men. Slightly fewer each time.
[...Und die Leute zu zählen. Jedesmal ein paar weniger.]

And so it was, that when it was all over, on the morning of the eighth day, the colonel brought back with him only two soldiers from his entire regiment, following along behind him. Me and the other one, and that was it.
[Bis dem Oberst von seinem Regiment nur noch zwei Reiter blieben. Darunter ich. Und das wars.]

He repeated in the same reticent tone of voice That was it?
[Der Journalist hat gefragt: „Das wars?”

I said again: Yes, in the end, that was it.
[Ich habe gesagt: „Ja, im Großen und Ganzen.”]

Look, after the colonel and I and the third soldier came under fire,
[Ich habe gesagt: „Schauen Sie, nach dem der Oberst und wir unter Beschuss geraten waren...]
all I knew was that by an incredible confluence of fortunate circumstances I had escaped with my life.
[...wusste ich nur, dass ich durch unglaublich glückliche Umstände mit dem Leben davongekommen war.”]

NOA

Listen:
[Hört zu:]

I have become interested in languages which I cannot make up,
[Ich interessiere mich für Sprachen, die ich mir nicht ausdenken kann.]
which I cannot create or even create in:
[Die ich nicht erschaffen kann. Noch in ihnen erschaffen kann.]

I have become interested in languages which I can only come up upon
[Ich interessiere mich für Sprachen, die mich auflaufen lassen.]
(as I disappear), a pirate upon buried treasure.
[Auf die ich stoße, während ich verschwinde. Wie ein Pirat auf einen vergrabenen Schatz stößt.]

The dreamer, the dreaming, the dream.
[Der Träumer, die Träumer, der Traum.]

I call these languages: languages of the body.
[Ich nenne diese Sprachen: Sprachen des Körpers.]

ROSEMARY

The journalist said: Would you mind if I recorded this?
[Der Journalist hat gesagt: „Erlauben Sie, dass wir es auf Band aufnehmen?”]

Without waiting for an answer he had already taken from his briefcase a little tape recorder
[Ohne meine Antwort abzuwarten, hatte er aus einem Handkoffer ein kleines Tonbandgerät geholt...]
which he examined and then set down between us on one corner of the table. I said
[...und es zwischen uns auf die Ecke des Tisches gestellt. Ich habe gesagt:]

I don't much like those machines. I have no talent for speaking. In fact,
[„Ich mag dieses Gerät nicht sonderlich. Ich habe nicht die Gabe der Rede...]
that's probably why I sing...
[...das ist wohl auch der Grund, warum ich singe.”]

He said We'll take care of that, it's only to help me remember, afterward I ... If you don't mind let's start now.
[Er hat gesagt: „Das kriegen wir schon hin, es ist bloß eine Gedächtnisstütze. Wollen wir beginnen?]

The fear, I mean how is it exactly, what do you do to live with it?
[Also, die Angst, ich meine, wie ist das genau, wie schafft man es, sie zu überwinden, sie zu ertragen?”]

I said You know, you get used to it.
[Ich habe gesagt: „Wissen Sie, man gewöhnt sich daran.”]

And immediately after I said that No, that wasn't really true. That you don't get used to it. Never.
[Tafel 48: Sofort habe ich gesagt, nein, das stimme nicht. Dass man sich nie daran gewöhnt.]

That you're always afraid. All the time.
[Dass man immer Angst hat. Ständig.]

Before or after, that is. That is, when you're not running, or galloping,
[Das heißt vorher oder nachher. Das heißt, wenn man nicht gerade rennt oder galoppiert...]
throwing yourself to the ground, standing up again, mounting your horse again,
[...sich zu Boden wirft, wieder aufs Pferd steigt, von neuem abspringt...]
jumping to the ground again, running on all fours across the railway trench.
[auf allen vieren über den Eisenbahngraben rennt.]

And it's like that from the first shell that suddenly falls next to you.
[Und zwar von der ersten Bombe an, die plötzlich neben einem einschlägt.]

NOA

Listen: I’m thirsty.
[Hör zu: Ich habe Durst.]

What I’m thirsty for—whom I’m thirsty for—I can’t get so I drink poisons.
[Wonach ich dürste – nach wem ich dürste – erreiche ich nicht. Also trinke ich Gift. ]

I’ve got to free myself. From what? Pain? Oh—for more poisons.
[Ich muss mich befreien. Wovon? Von den Schmerzen? Ach, gäbe es nur mehr Gift. ]

Maybe more poisons’ll come and I’ll go so far, I’ll emerge.
[Gäbe es mehr Gift, könnte ich so weit gehen, zu erscheinen.]

Something is trying to emerge from this mess.
[Etwas versucht, diesem Durcheinander zu entkommen.]

Listen:
[Hör zu:]

Every day a sharp tool, a powerful destroyer, is necessary to cut away dullness,
[Jeden Tag braucht es ein scharfes Werkzeug, einen gewaltigen Zerstörer, das wegzuschneiden: Dumpfes.]
buzzing, belief in human beings, stagnancy, images, and accumulation.
[Sirrendes. Den Glauben an Menschen. Stillstand. Einbildung. Anhäufung.]

As soon as we stop believing in human beings,
[Sobald wir aufhören, an Menschen zu glauben –]
rather know we are dogs and trees, we'll start to be happy.
[sobald wir erkennen, dass wir Hunde sind, Bäume: Dann werden wir beginnen, Glück zu empfinden.]

(Film 1: ICHI)

本当は私はモデルなどではない。無資格なので余り仕事の回ってこない 貧しい通訳の一人に過ぎない。毎日、化粧が終わると事務所に出かけて そこで仕事の依頼の来るのを待つ。 そもそも私は通訳には向いていな い。しゃべるのが何より嫌いなのだから。母国語を話すのは、特に気が重 小学校に入るまで、私は自分のことを名前で呼んでいた。小学校に入る と、先生が、女の子は自分のことを「私」、男の子は「僕」と呼ぶように言っ た。みんな、初めのうちは恥ずかしがって、相変わらず名前で呼んだり、 「あたい」とか「ボクちゃん」とか「オレっち」とか言ってごまかしていたが、 そのうちに、少なくとも授業中はみんな「僕」「私」になっていった。私だけ はそれができず、できないということを誰かに知られるのが嫌で、人と口 をきくのをやめてしまった。母としか話をしなくなった。私は、母が私を呼 ぶように私自身を呼んだ。そのうち中学に入り、どうしてもこの言葉を言わ ないとならない場面にさしかかると、私はどもるようになった。「わ、わ、 わ、た、た、たし・・」と、「あ」の音をたくさん間に挟んでバラバラになった 私、それこそやっと見つけた自分の呼び方だった。どもると、母音が間に たくさん入って、歌でも歌っているようで、気持ちよかった (Version by Ichi, 22nd July)
(In Wirklichkeit war ich kein Fotomodell. Ich war nur eine ungeprüfte Dolmetscherin und musste oft auf Arbeit warten. Wenn ich einen Auftrag bekam, trank ich einen Schluck Whisky und ging an die Arbeit. Ich bin zum Dolmetschen eigentlich nicht geeignet. Ich hasse das Reden mehr als alles andere. Besonders das Reden in meiner Muttersprache. Bis ich in die Grundschule eintrat, hatte ich von mir selbst immer nur mit meinem eigenen Namen gesprochen. Das ist in Japan nichts Ungewöhnliches. In der Grundschule sagten die Lehrer den Mädchen und Jungen, dass man sich selbst „Ich“ nennt. Zuerst hatten sich alle geschämt und weiterhin statt „Ich“ nur ihren Namen benutzt; allmählich aber hatten sie wenigstens im Unterricht angefangen, „Ich“ zu sagen. Nur ich konnte es nicht. Ich wollte aber nicht, dass es jemand merkt und hörte deshalb auf, mit den anderen zu sprechen. Ich sprach nur noch mit meiner Mutter. Ich nannte mich weiter so, wie meine Mutter mich nannte; und meine Mutter ließ mich gewähren. Dann kam ich in die höhere Schule. In Situationen, in denen ich das Wort „Ich“ aber nicht mehr vermeiden konnte, begann ich zu stottern. Das „Ich“ zerbrach mir in Teile mit großen Abständen dazwischen. So also sah die Selbstbenennung aus, zu der ich es schließlich gebracht hatte: mit so viel Raum zwischen den Lauten war sie für mich wie das Absingen eines Liedes.)

ROSEMARY

The journalist said: Excuse me, do you mind?
[Der Journalist hat gesagt: „Entschuldigung, Sie gestatten?” ]

As he stretched out his arm to pick up the little tape recorder his sleeve pulled up,
[Als er den Arm ausstreckte, um das Tonbandgerät in die Hand zu nehmen, ist sein Ärmel hochgerutscht...]
fully revealing that large wristwatch with its dials for the seconds, the minutes,
[...eine dicke Armbanduhr aufdeckend, mit ihren Zifferblättern für die Sekunden, die Minuten...]
the hours, its hands turning circles.
[...die Stunden, deren Zeiger sich im Kreis drehten.]

As if time did not move forward, spun on itself, always came back to the same places, ran on the spot so to speak.
[Als ob die Zeit immer wieder an derselben Stelle vorbeikam, sozusagen auf der Stelle trat.]

He said: Let's see if it's working the other day this thing didn't ...
[Er hat gesagt: „Mal sehen, ob es klappt. Neulich hat das Ding...”]

He pressed a key, then another, and I heard my voice come out:
[Er hat auf eine Taste gedrückt, dann auf eine andere, und ich habe meine Stimme herauskommen hören;]
a metallic voice, resonant, not mine or at least not the one I hear when I speak.
[eine metallische, sonore Stimme, die nicht meine ist oder nicht die, die ich höre, wenn ich spreche. ]

He said: Right, it's OK, once again pressed two keys and said Let's continue.
[Er hat gesagt: „Es ist okay.” Dann hat er erneut auf zwei Tasten gedrückt und gesagt: „Machen wir weiter.” ]

Sitting as he was on the couch facing the windows, the light reflected off the lenses of his glasses most of the time,
[So wie er dasaß auf dem Sofa gegenüber den Fenstern spiegelte sich das Licht in seinen Brillengläsern...]
so that I couldn't see his eyes. As if I were speaking to a blind man.
[...und ich konnte seinen Blick nicht sehen. Als spräche ich mit einem Blinden.]

He said: Yes but when you were running in that railway trench as you've told it you must have been afraid then, weren't you?
[Er hat gesagt: „Als Sie über in diesen Eisenbahngraben rannten, da hatten Sie doch Angst, oder?”]

I knew I was wasting my time. Nevertheless, I tried to describe it to him.
[Ich wusste, dass ich meine Zeit vergeudete. Trotzdem habe ich versucht, es ihm zu schildern.]

No, I said. No fear. Not in these moments. I said: Exhaustion.
[„Nein. Keine Angst. Nicht in diesen Momenten. Sondern Müdigkeit.” ]

He raised his eyebrows and said: Exhaustion?

[Der Journalist hat die Augenbrauen gehoben und gesagt: „Müdigkeit?” ]

I said: Yes exhaustion more than anything. He said: Exhaustion more than fear?
[Ich habe gesagt: „Ja, vor allem die Müdigkeit.” Er hat gesagt: „Die Müdigkeit mehr als die Angst?” ]

I said: Yes. For example when you can only manage to walk, not run,

[Ich habe gesagt: „Ja. Zum Beispiel. Wenn Sie nur noch gehen können, statt zu rennen...]

when you're being shot at simply because you've reached the end of your strength.
[...während man auf Sie schießt, einfach, weil Sie am Ende Ihrer Kräfte sind.” ]

The journalist said: This is a paradox.

I said: No it isn't a paradox.
[„Das ist ein Paradox”, sagte der Journalist.
Ich habe gesagt: „Nein, das ist kein Paradox. ]

Fear exhausts, it exhausts you terribly. He said: Yes I understand.
[Die Angst macht müde, sie macht entsetzlich müde.” Er hat gesagt: „Ja, ich verstehe...”]

I said: No. You don't understand. You simply can't. It's absolutely impossible.
[Ich habe gesagt: „Nein, Sie verstehen nicht. Sie können ganz einfach nicht. Es ist absolut unmöglich.]

But let's just say the fear well it's like the filthy stinking shirt you're wearing
[Aber sagen wir, dass die Angst so etwas ist wie das stinkende Hemd, das Sie auf dem Leib tragen...]
and which of course there's no question of changing any more than of washing it
[...und das zu wechseln nicht in Frage kommt, ebenso wenig wie, es zu waschen...]
and it sticks to your skin and you can't smell its stench because it's your own stench
[und es klebt an Ihrer Haut und Sie riechen seinen Gestank nicht, weil es ihr eigener Gestank ist.]
but you can always feel its stiffness about as soft as cardboard...
[Aber Sie können es die ganze Zeit spüren, steif, etwa so steif wie Pappe...”]

Just then he raised his hand saying Stop stop!..
[In diesem Moment hob der Journalist die Hand und sagte: „Stop, stop.”]

The windows were rattling. A large car must have stopped in front of my house.
[Die Fensterscheiben bebten. Ein großer Wagen musste vor dem Haus zum Halten gekommen sein.]

He picked up his tape recorder again and pressed the keys:
[Er hat sein Tonbandgerät genommen und auf die Tasten gedrückt:]
in fact, my voice could only be heard vaguely behind a loud crackle. We waited a short moment.
[Man hörte meine Stimme nur undeutlich hinter einem lauten Knistern. Wir warteten einen kurzen Moment.]

ICHI
私は本当は通訳などではない。時々、通訳の振りをすることもあったが、 本当は、ただのタイピストに過ぎない。舌のなくなった今となっては通訳 のふりをすることさえできなくなった。理解しにくい言葉を紙に叩くのだけ が仕事だ。半日もタイプを打っていると、背中が俺の甲羅のようになる。 夕方には首が回らなくなり、宵には指が冷たくなる。それでも安物の手動 のタイプライターを打ち続ける。キイを打つ度に跳び上がってくる活字の 腕は、溺れかかった人が水から突き出す腕のようだ。真夜中には目が見 えなくなる。(Ichi, 22nd July)
(Subtitles: In Wirklichkeit war ich gar keine Dolmetscherin; hin und wieder habe ich eine Dolmetscherin imitiert. In Wirklichkeit war ich nur eine Typistin. Jetzt, wo ich meine Zunge verloren hatte, konnte ich nicht einmal mehr eine Dolmetscherin imitieren. Meine Aufgabe beschränkte sich darauf, schwer verständliche Worte auf das Papier zu schlagen. Wenn ich einen halben Tag lang getippt hatte, war mein Rücken wie ein Schildkrötenpanzer. Nachmittags konnte ich meinen Kopf nicht mehr bewegen. Abends wurden meine Finger kalt. Dennoch tippte ich weiter. Die Arme, die die Schrifttypen trugen und die jedes Mal, wenn ich eine Taste drückte, hochschnellten, erinnerten mich an die Arme von Ertrinkenden. Um Mitternacht konnte ich dann nichts mehr sehen.)

ROSEMARY
It was quiet again outside my window. The journalist turned the tape recorder back on.
[Es war wieder still vor meinem Fenster. Dann schaltete der Journalist das Tonbandgerät wieder ein.]

He said: Forgive me, but I come back to my initial question: fear.
[Er sagte: „Verzeihen Sie, aber ich komme auf meine Eingangsfrage zurück: die Angst...”]

I wondered what else I could say.
[Ich fragte mich, was ich noch sagen könnte.]

And then I said: There might be another, more appropriate word...
[Und dann sagte ich, es gäbe da vielleicht ein anderes, treffenderes Wort...]

I hesitated a little. Then I said it.
[Ich zögerte ein wenig. Dann sagte ich es.]

Completely agitated, the journalist repeated what I had said:
[Aufgewühlt wiederholte der Journalist das von mir gesagte Wort:]

Just melancholy? I said yes.
[„Melancholie? Einfach Melancholie?” Ich sagte: „Ja.”]

But simply? No, it’s not simple, not at all: neither rainbow colors,
[Aber einfach? Nein. Einfach sei es überhaupt nicht: weder Regenbogenfarben...]
nor bitter reverie, but something violent. Gagged, but roaring.
[...auch nicht bittere Träumerei...sondern etwas Gewaltsames. Geknebelt zwar, aber brüllend.]

I’d never wanted so much to live than at that moment when the planes dropped the bombs.
[Niemals habe ich so sehr leben wollen, wie in jenem Moment, als die Flugzeuge die Bomben abwarfen.]

Never looked so hungrily, so marvelingly, at the sky, the clouds, the fields, the hedges....
[Niemals mit solcher Gier, solcher Verzückung den Himmel betrachtet, die Wolken...]
[...die Wiesen, die Hecken...]

Melancholy... the journalist repeated.
[„Melancholie”...,wiederholte der Journalist.]

I should have told him that it was
[Tafel 102: Ich hätte ihm sagen müssen...]
as if the surgeon did not content himself with the ritual morning round, but at seven or eight in the evening,
[...es sei so gewesen, wie wenn der Chirurg sich nicht mit der Morgenvisite begnügt, sondern gegen 19 Uhr...]
under the pretext that he was on his way to dinner with friends nearby the clinic, enters your room,
[...unter dem Vorwand, er sei auf dem Weg zu einem Abendessen bei Freunden in der Nähe...]
accompanied only by the rustle of the nun's starched skirts,
[...dein Zimmer betritt, begleitet einzig vom Knistern des gestärkten Rocks der Nonne.]
"just because," "to say good evening and see how our patient is doing,"
[Einfach so, um kurz guten Abend zu sagen und zu sehen, wie es unserem Kranken geht.
and that you notice the way he looks at you, you understand that the dear patient is not feeling well at all,
[Und du an der Art, wie er dich anschaut, verstehst, dass es dem lieben Kranken gar nicht gut geht...]
and that a little later the nun comes back with the same rustling of her starched skirts,
[...und wenig später die Nonne mit demselben Rascheln ihres Rocks zurückkommt...]
holding up a syringe, with the needle pointing upwards, her thumb on the plunger,
[...eine Spritze hoch haltend, mit der Nadel nach oben, den Daumen auf dem Kolben.]
and you say: I’ve already been given my evening injection.
[Und du sagst: „Sie haben mir die Abendspritze doch schon gegeben.”]

And she replies: This one is to help you sleep better.
[Und sie antwortet: „Diese hier ist dafür, damit Sie besser schlafen.”]

NOA

Listen:
[Hör zu:]

I'm sick too.At this point sicker than you.
[Ich bin auch krank. Kranker als Du in diesem Moment.]

My disease is forever.I know no comfort.
[Meine Krankheit ist endlos. Ich kenne keinen Trost.]

Since we're both maniacs, let's be nice to each other.
[Da wir beide durchgeknallt sind: Lass uns gut zueinander sein.]

I myself want to live.I want to burn.
[Ich selbst will leben. Will brennen.]
all I ask is no one loves mein return.
[Alles, worum ich bitte: dass niemand mich im Gegenzug liebt.]

ICHI

白い砂で顔を洗う。砂漠のようになった肌を滑らかにするにはそうするし かない。この砂はクジラの骨が長い間、海の波に洗われ、太陽に干され てできたのだという。手のひらにすくって頬に当てると肉を通してその砂 が私の骨に語りかける。自分の頭蓋骨の形が手の中にはっきり感じられ る。(Version by Ichi, 22nd July)

[Nur so konnte ich meine Haut, die zu einer Wüste geworden war, wieder glatt bekommen.]
[Man sagt, dass dieser Sand von den Knochen eines Dinosauriers stamme...]
[...von Knochen, die die Wellen des Meeres lange gewaschen haben... ]
[...und die die Sonne getrocknet hat.]
[Ich verteilte ihn auf meine Handflächen und legte diese auf mein Gesicht;]
[sie fingen durch das Fleisch hindurch mit meinen Knochen ein Gespräch an.]

Max Czollek / Sven Holm / Michael Wertmüller
Ein Ermordeter aus Warschau.
Eine Überschreibung von Arnold Schönbergs Komposition "Ein Überlebender aus Warschau"

Max Czollek, Performer
Rosemary Hardy, Sopran
Noa Frenkel, Alt
Ichi Go, Tanz
Simon Stockhausen, Live-Elektronik
Johnny La Marama, Peter Meyer, E-Gitarre
Chris Dahlgren, E-Bass
Eric Schaefer, Drums
ensemble dissonArt
Theodoros Patsalidis, Andreas Papanikolaou, Violine
David Bogorad
, Viola
Vassilis Saitis, Violoncello
Lenio Liatsou, Klavier
Musikalische Leitung: Vicente Larrañaga
Maxime Barbasetti, Henriette Bothe, Hayden Chisholm, Altea
Garrido, Aminata Toscano
, Videodarsteller:innen
Video: Rebecca Riedel
Ausstattung: Nina von Mechow
Dramaturgie & Konzept: Malte Ubenauf
Regie & Konzept: Sven Holm

Koproduktion von Kunstfest Weimar, Musikfestival Bern, Kühlhaus Berlin, WDR 3 und Kölner Philharmonie.

Aufzeichnung aus dem WDR Funkhaus vom 5.10.2024

Moderation: Ilka Geyer 
Redaktion: Patrick Hahn