WDR 3 Werkbetrachtung: Richard Strauss' Alpensinfonie
Eine abenteuerliche Bergwanderung hat Richard Strauss vor hundert Jahren in seiner Alpensinfonie komponiert – ungemein effektvoll, rauschhaft und lautmalerisch. Für den Dirigenten Markus Stenz ein idealer Einstieg in die klassische Musik. Er erläutert die sinfonische Darstellung der Natur.
Bei Sonnenaufgang wandern wir musikalisch los: durch die Wälder und am Wasserfall vorbei über Almwiesen bis hin zum Berggipfel. Wir hören Kuhglocken und Vogelgezwitscher, erleben die Stille in der Höhe und geraten in ein gewaltiges Gewitter. Richard Strauss lässt uns eine ganztägige Tour in den Bergen miterleben; insgesamt 22 Stationen. Schon mit vierzehn Jahren entstehen erste Skizzen; mit fünfzig wird daraus eine sinfonische Dichtung.
"Jetzt endlich hab' ich instrumentieren gelernt", soll Strauss gescherzt haben, und weiter: "Ich hab’ einmal komponieren wollen, wie die Kuh Milch gibt". Die musikalischen Naturbilder entstehen in der Strauss-Villa in Garmisch-Patenkirchen mit Blick auf den Gipfel der Zugspitze. Rund 125 Musiker der Dresdner Hofkapelle samt Orgel, Wind- und Donnermaschine sind bei der Uraufführung am 28. Oktober 1915 in Berlin auf der Bühne.
Die Wanderung vom Tal in die Höhe, von der Nacht zum Licht und wieder zurück steht auch im Zusammenhang mit den philosophischen Schriften von Friedrich Nietzsche. Eine Zeitlang gibt Richard Strauss seinen Skizzen den Titel "Der Antichrist". In seinem Tagebuch notiert Strauss nach dem Tod Gustav Mahlers im Mai 1911: "Mir ist absolut klar, daß die deutsche Nation nur durch die Befreiung vom Christentum neue Tatkraft gewinnen kann. Ich will meine 'Alpensinfonie' den 'Antichrist' nennen, als da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur."
Markus Stenz, der zehn Jahre lang Generalmusikdirektor der Stadt Köln und Chefdirigent des Gürzenich-Orchesters war, erläutert uns am Pult des Ensemble Modern Orchestra die eindrucksvollsten Momente der Alpensinfonie: wie Richard Strauss seine Naturbilder komponiert, wie Klangmalereien entstehen und was für Gefühlen wir als Mit-Wanderer ausgesetzt sind. Wir starten noch vor Sonnenaufgang – inmitten der wabernden Dunkelheit der Nacht.
Eine Collage von Antonia Ronnewinkel
Redaktion: Eva Küllmer