Fortführung einer Ära
"Mối Lương Duyên" - Saigon Soul Revival
Stand: 15.05.2024, 13:04 Uhr
Seit 2016 bringen Saigon Soul Revival einen fast vergessenen Sound Vietnams der zurück auf die Bühne. Mit ihrem neuen, zweiten Album"Mối Lương Duyên"wird diese Pop-Ära erneut in die Gegenwart geholt.
Von Kai Brands
Goldene Musik
Mit ihrem Retro-Sound reist das Quintett Saigon Soul Revival aus Vietnam klanglich zurück in den Südens des Landes in die späten 60er- und frühen 70er-Jahre zu Zeiten des Vietnamkriegs. Denn neben heftigen Umständen gibt es damals gleichzeitig eine besondere Ära der vietnamesischen Popmusik. Aus den Cafés, Bars und Clubs der damaligen Hauptstadt Süd-Vietnams Saigon - heute offiziell Ho-Chi-Minh-City - dröhnt die Live-Musik. Vietnamesische Artists einer bereits dynamischen Musiklandschaft mit einigen internationalen Einflüssen spielen u.a. auch Soul, Funk oder Rock aus den USA. Durch die in Süd-Vietnam stationierte US-Armee zirkulieren die Stile dort zunehmend. Es wächst eine Szene mit neuen vietnamesischen Songs zu einer herausfordernden Zeit.
Früher wurde die Musik aus dem Süden auch "Gelbe Musik" (Nhạc Vàng) genannt, im Gegensatz zu "Roten Musik" (Nhạc Dỏ) des kommunistischen Nordens. Als "Goldene Musik" wird sie auch heute von einigen bezeichnet. "Heute wissen wir, dass es ganz viele Aufnahmen aus dieser Zeit gab. Es war definitiv eine gute Periode vietnamesischer Musik und generell der Kultur. Leider war mit der meisten Musik mit dem Kriegsende 1975 Schluss", sagt Indy Laville von Saigon Soul Revival. Das Land wurde später wiedervereint und viele Menschen aus dem besiegten Süden, also auch Musiker*innen, mussten fliehen. Ihre Musik wurde vom kommunistischen Regime zwischenzeitlich verboten und Aufnahmen zerstört. Dass dieser Sound aber wiederbelebt werden soll, drückt alleine der Bandname Saigon Soul Revival mehr als deutlich aus.
Wiederbelebt und weitergedacht
Saigon bzw. Ho-Chi-Minh-City ist das Zentrum der Band. Hier gründet sie sich 2016 nach einer Jam-Session. 2017 tritt sie auch bei der landesweit bekannten TV-Musik-Castingshow"Ban Nhạc Việt"auf. 2019 erscheint ihr Debüt-Album "Họa Âm Xưa".
Mit dem "Soul" im Namen ist nicht unbedingt ausschließlich Soul-Musik gemeint. Das Wort ist eher als Überbegriff zu verstehen. Saigon Soul Revival lassen sich von alten Recordings aus der Zeit inspirieren. Sie interpretieren auf dem neuen Album "Mối Lương Duyên" (Schicksal) drei vietnamesische Klassiker von damals neu. Sie haben auch acht neue, eigene Songs in dem Stil geschrieben und spinnen ihn weiter.
"Manchmal müssen wir uns ein bisschen entscheiden. Wir wollen der Musik von damals treu bleiben und gleichzeitig unsere eigene Vision und unseren eigenen Stil in der Musik unterbringen", sagt Indy Laville. So verschmelzen westliche Stile und etwa psychedelisches Orgelspiel mit traditioneller vietnamesischer Musik und Instrumenten wie Đàn Nguyệt oder Đàn Bầu. Insgesamt variiert die Band ihren Sound mit Einflüssen von z.B. Funk, Classic- und Surf-Rock oder auch Ska. Der Retro-Charme mit teilweise Live-Charakter ist allgegenwärtig.
Sängerin Nguyễn Anh Minh singt eindrucksvoll auf dem neuen Release vor allem viel von Liebe - vom Schmerz, der damit verbunden sein kann, aber auch von der Zuversicht wie im Song "Bói Hoa" (Glückliche Blume), in dem es um den Klassiker des Blume-Zerrupfens geht, das vermeintlichen Aufschluss darüber geben soll, ob die Liebe erwidert wird. Das Ergebnis: es soll wohl klappen.
Der nächste Schritt
Das Revival ist jedenfalls im Gange. Mitte der 2010er-Jahre kamen ein paar Compilations mit Musik aus der damaligen Zeit raus, die so einem internationalen Publikum präsentiert wurde und viele Menschen neugierig machte. Gerade auch der Frankfurter Produzent Jan Hagenkötter hat mit seinen "Saigon Supersound"-Compilations großen Anteil daran. Mit ihm arbeitet die Band bis heute zusammen. Mit ihrem zweiten Album leisten "Saigon Soul Revival" hörenswert einen weiteren Beitrag zum Nicht-Vergessen einer speziellen kreativen Ära und bringen sie wie geplant wieder auf die Bühne - aktuell in Vietnam und Ende Juli u.a. in Berlin.