Sinem: "Köşk"–Anadolu Punk
Stand: 26.01.2025, 00:00 Uhr
Sinem interpretieren türkische Pop-Songs und Anadolu-Rock-Klassiker neu: Auf ihrem Debütalbum "Köşk" treffen arabeske Rhythmen auf New Wave und Post-Punk. Sängerin Sinem Arslan Ströbel spürt ihren türkischen Wurzeln mit Songs aus ihrer Kindheit nach.
Von Philipp Kressmann
Es gibt Musik, die kennt Sinem schon, seit sie klein ist. Das sind Lieder, die ihre Eltern oder Großeltern gesungen haben. Die 33-jährige Sängerin ist im oberbayerischen Starnberg aufgewachsen, Schulfreund:innen mit türkischen Roots hatte sie da nicht. Türkische Popmusik hört Sinem nur im Urlaub in der Türkei oder eben zuhause. Irgendwann beginnt sie, New Wave und Post-Punk aus den Achtzigern von Bands wie DAF zu hören. Doch die Musik, die ihrer Familie so viel bedeutet, hat sie nie vergessen. Mit ihrer im Oktober 2023 gegründeten, nach ihr selbst benannten Band interpretiert Sinem nun eigenwillig Songs von Anadolu-Rock-Legenden wie Cem Karaca, aber auch Musik von türkischen Pop-Künstler:innen wie Kubat oder Sezen Aksu.
Post-Punk-Update für Anadolu Rock
Mit Tom Wu am Schlagzeug und Gitarrist Martin Tagar von der Band Friends of Gas nähert sich Sinem hier vor allem eben dem Anadolu-Rock der 70er Jahre, der aktuell von vielen jüngeren Musiker:innen weitergesponnen wird. Für das Revival sorgen etwa Derya Yıldırım oder die Bands Altın Gün und Engin. Anadolu Rock war in den sechziger Jahren eine musikalische Revolution – nicht nur wegen der Texte. Westliche Rockmusik traf damals zum ersten Mal auf traditionelle anatolische Gesänge. Sinem erinnern an diese Zeit – aber anders als ihre heutigen Zeitgenossen. Sie versehen Songs wie "Lambaya Püf De" von der AAnadolu-Rock-Ikone Barış Manço mit Post-Punk-Sounds und elektronischen Elementen.
Musikalische Zeitreisen
"Gurbet" ist dazu das Kontrastprogramm: Das melancholische, tiefsinnige Lied von Özdemir Erdoğan erschien Anfang der Siebziger und dreht sich um die Menschen, die damals ihre Heimat verlassen haben, um anderswo ein neues Leben zu beginnen. Es geht um die erste Generation der sogenannten Gastarbeiter:innen, zu denen auch Sinems Großeltern gehören. Bei den ersten Klängen von "Gurbet" muss die Musikerin direkt an ihre Großmutter denken, die aus ihrer Familie als Erste nach Deutschland aufgebrochen ist. Dann wirkt Sinems sehnsüchtiger Gesang besonders eindringlich. Das Trio verpasst dem Song eine wavige und gitarrenlastige Note. Man versteht, wieso Sinem bei diesem Projekt nicht von Covern sprechen möchte. Denn ihre Band ist sehr erfinderisch und verleiht manchen Liedern ein völlig neues Gewand.
Eine Hommage an Sezen Aksu
Zu den Highlights zählt auch Sinems Version von "Hadi Bakalim", dem Hit der ewigen türkischen Pop-Queen Sezen Aksu aus Istanbul. Der Song wurde in den Neunzigern veröffentlicht und ist seitdem Bestandteil der türkischen Kultur, auch in Deutschland. Sinem mag den Song auch, weil er aus einer Zeit stammt, da Sezen Aksu begann empowernde Texte zu schreiben. Auch Sinems Gesang wirkt selbstbewusst. Damit eignet sie sich auch Songs an, die aus dezidiert männlicher Perspektive geschrieben wurden."
Köşk" steht auch für Subkultur
Der Albumtitel "Köşk" spielt auf den gleichnamigen Kunstraum in München an, in dem die Band ihr erstes Konzert gespielt hat. Mittlerweile ist das Köşk umgezogen. Es bleibt ein subkultureller Ort, an dem nicht nur Sinem sich wohlfühlen und ohne Furcht künstlerisch ausprobieren kann. Sinem schätzt freigeistige Orte wie das "Köşk", weil dort jede:r herzlich willkommen sei. Das passt zur Stimmung des Albums, auf dem Sinem Post-Punk-Vibes mit ihren türkischen Roots verbindet und so eindrucksvoll zeigt, dass ihre musikalische DNA aus mehreren Welten und Sounds besteht.