Bereits 200.000 Mal wurde die kostenlose App heruntergeladen. Ein kleiner Notfallkoffer mit vielen Hilfsmitteln, um den Weg raus aus der Krise für sich zu finden: So beschreiben die Macher die App.
Das Gemeinschaftsprojekt der westfälischen Telefonseelsorge-Stellen wurde von Bernd Wagener, dem stellvertretenden Leiter in Siegen, mitentwickelt. Im Interview erzählt er uns über dessen Notwendigkeit und neue Tools, die diesen Krisenkompass einzigartig machen.
WDR: Herr Wagener, wie gehen Menschen allgemein mit Krisen um?
Bernd Wagener: In der Telefonseelsorge kommen wir meist mit Personen in Kontakt, die in der Krise keine zuverlässigen Unterstützer aus dem nahen Umfeld finden oder diesem nicht zur Last fallen wollen. Sie haben das Gefühl der Verbundenheit verloren.
Die Fragen nach dem Sinn der leidvollen Situation und nach neuen Wegen wird zunehmend individuell gesucht – dafür braucht es intensive Kommunikation und Begleitung. Die wir in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr gut durch die Telefonseelsorge aber auch durch die Mail oder Chatseelsorge abdecken konnten. Doch die Menschen und ihr Umgang mit Krisen hat sich weiterentwickelt.
WDR: Ist der Krisenkompass also eine Weiterentwicklung der Telefonseelsorge?
Wagener: Ja, das könnte man so sagen. Immer häufiger erreichen uns Anrufe, die aus der App heraus erfolgen und immer häufiger ist der Krisenkompass in Maildialogen ein gutes Mittel, eigene Energien wieder zu spüren und zu nutzen.
WDR: Ein Notfallkoffer für die Hosentasche?
Wagener: Ja genau. Die Krisenkompass App wurde entwickelt, um einen leichten Zugang über das Smartphone zu Informationen über Suizidalität, akute Krisen und vor allem zu persönlichen Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. In der Krise, vor allem in der suizidalen Krise, sieht man keine Alternativen mehr, man ist "im Tunnel", alles scheint ausweglos.
Und nicht immer ist dann jemand sofort erreichbar, um den Blick wieder zu weiten. Mit wenigen Klicks findet der Nutzer Zugänge zu seinen Kraftquellen, zu Freunden, Familie, Unterstützer*innen, zu professionellen Anlaufstellen und direkt zur Telefonseelsorge.
WDR: Eine App bedeutet oft, dass ich Daten von mir preisgeben muss – trifft das auch auf den Krisenkompass zu?
Wagener: Anonymität ist uns ein hohes Gut! Daher war es uns bei der Programmierung sehr wichtig, dass die hinterlegten, oft intimen Daten, absolut anonym bleiben. Deshalb ist die App ohne Angabe von persönlichen Daten und kostenlos zu installieren. Sie ist komplett eigenständig programmiert, d.h. ohne Module von großen Softwareanbietern, die oft einen Zugriff auf die gesammelten Daten erwarten.
Die Telefonseelsorge hat daher keinerlei Informationen, welche Menschen die App nutzen. Es gibt keine unmittelbare Verbindung zu anderen Netzwerken. Wenn Nutzer*innen die Telefonseelsorge anrufen wollen oder mit professionellen Diensten in Kontakt kommen wollen, wird der Browser des Smartphones genutzt – eine direkte Verlinkung zu App geschieht nicht.
WDR: Wann soll der Krisenkompass herangezogen werden?
Wagener: Der Krisenkompass richtet sich an Betroffene, Angehörige und Menschen, die sich um jemanden sorgen. Er ist ein hilfreiches Medium, um Informationen zu bekommen, sich selber besser einschätzen zu können, Ressourcen wieder – oder neu - zu finden und in Kontakt mit wohlwollenden Unterstützer*innen zu kommen.
Er ersetzt nicht das persönliche Gespräch, aber macht Mut dazu, sich zu öffnen und hilft, die passenden Worte zu finden. Er ersetzt auch nicht die Therapie, kann aber durch die vielen Übungen und Anleitung hilfreich begleiten.
Das Interview führte Elisabeth Konstantinidis.