Ivar Buterfas-Frankenthal gilt als einer der letzten Holocaust-Überlebenden. Mit seiner Mutter und seinen Geschwistern war er nach der Machtergreifung der Nazis 1933 ständig auf der Flucht, durfte die Schule nicht besuchen, wurde in sogenannten "Judenhäusern" untergebracht und gedemütigt.
Buterfas-Frankenthal wurde 1933 als Sohn einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters geboren. Er galt dadurch bei den Nazis als Halbjude.
Mehr als 1.500 Schulen hat er schon besucht. Eigentlich wollte er Ende Januar zum letzten Mal auftreten. Angesicht der aktuellen Lage sei das aber noch nicht möglich.
WDR: Herr Buterfas-Frankenthal, Sie sprechen regelmäßig vor Schülerinnen und Schülern, um über den Holocaust aufzuklären: Kommen ihre Worte an?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Absolut, die unglaubliche Aufmerksamkeit, die mir diese jungen Menschen entgegenbringen, ehrt mich sehr. Und die jungen Menschen sind begeistert. Sie bauen Gruppen auf – wie heute. 20 Mädchen und Jungen standen hinter mir und haben gefragt: Können wir ein Foto machen? Das ist doch toll, sie bedanken sich bei mir und sagen natürlich auch: Das haben wir alles nicht gewusst.
WDR: Sie selbst wurden von ihrem Schulleiter kurz nach der Einschulung der Schule verwiesen, als bekannt wurde, dass sie "Halbjude" sind: Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Als sie begriffen hatten, dass ich ein Jude war, fingen die an, mich anzuspucken, einige traten nach mir und ich lief dann heulend über den Schulhof. Schule habe ich nie wieder besucht, auch nach dem Krieg nicht, denn die Not bei unserer Familie war sehr, sehr groß. Und ich hatte auch keine Lust mehr, mit Kindern zusammenzukommen. Das war für mich nicht möglich.
WDR: Wie blicken Sie nach all den Erfahrungen auf ihre Kindheit zurück?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Das war keine Kindheit, ich habe keine Kindheit gehabt, ich habe keine Schule gehabt, ich habe keine Jugend gehabt.
WDR: Sie mahnen immer wieder vor der Gefahr von Rechtsextremismus und Antisemitismus: Wie bewerten Sie die Demonstrationen, bei denen jetzt hunderttausende Menschen gegen rechte Einstellungen auf die Straße gehen?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Ich bin der Meinung, wir haben aus unserer Vergangenheit gelernt. Und wir nehmen auch Artikel 1 des Grundgesetzes sehr ernst, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Und danach leben wir Deutschen heute. Und wenn ich sehe, dass in den letzten Tagen insgesamt Hunderttausende aufgestanden sind und sich zur Wehr setzen gegen diese Horde AfD, dann muss ich sagen, dann habe ich wieder sehr, sehr viel Hoffnung, dass diese Republik noch älter wird als 75 Jahre, die sie jetzt schon ist.
WDR: Was kann jeder einzelne dafür tun?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Nicht fragen, was kann mein Land für mich tun, sondern was kann ich für mein Land tun. Und für mein Land kann ich tun, das ist wichtig, dass diese Demokratie geschützt wird gegen jeden Feind, der dieser Demokratie schaden will.
Das Interview führte Noah Brümmelhorst.
Über dieses Thema berichten wir am 23.01,2024 im WDR Fernsehen: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.