Noah Wellnitz (18) und Henri Lohle (19) aus Lingen hatten sich ihren Start ins Studentenleben in Münster anders vorgestellt: jeder ein schönes Zimmer in einer WG mit netten Leuten, die ihnen helfen, sich schnell in der fremdem Stadt einzuleben. Doch am ersten Abend hocken die beiden Freunde auf dem harten Boden einer Turnhalle, umgeben von Rucksäcken und Taschen. Ihr Schlafplatz für die erste Nacht des Semesters.
Notquartier für eine Woche
Es ist 22 Uhr. Eine Stunde vorher haben in der Turnhalle noch Sportler trainiert. Doch jetzt ist die Halle Notquartier für Erstsemester ohne Dach über dem Kopf. Bis zum nächsten Morgen um 10 Uhr. Dann müssen Noah Wellnitz, Henri Lohle und die anderen Studierenden ihren Schlafplatz geräumt haben. Aber sie dürfen wiederkommen. Jeden Abend um 22 Uhr.
Das Angebot gilt für die erste Semesterwoche. Denn das ist für die Erstsemester eine besondere Woche, mit vielen Veranstaltungen zum Kennenlernen von Uni-Betrieb und Kommilitonen am Tag und vielen Parties am Abend. Darauf wollen die meisten Erstsemester nicht verzichten. Manche von ihnen nehmen dafür den Übernachtungsplatz in der Turnhalle gerne in Kauf.
Platz für bis zu 150 Erstsemester
So langsam füllt sich die Halle. Junge Männer und Frauen mit Rucksäcken und Rollkoffern kommen an, suchen sich in der Halle eine Ecke, wo sie ihre Luftmatratze und ihren Schlafsack ausbreiten. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA), der das Notquartier in der Turnhalle anbietet und dabei von Uni und Stadt unterstützt wird, hat insgesamt 80 Anmeldungen erhalten. Platz ist für bis zu 150 Erstsemester.
Mirac Gycly (20) aus Duisburg hat sich in ihre Decke gekuschelt, im Arm ein Stofftier. "Ich hatte das vorher nicht für möglich gehalten, dass ich in einer Turnhalle landen würde. Das ist nicht toll, aber besser als jeden Tag vier Stunden im Zug zu sitzen, morgens von Duisburg nach Münster und abends wieder zurück."
Kaum bezahlbare Wohnungen
Mirac erzählt, dass sie sich in den vergangenen Wochen auf zig Wohnungsannoncen im Netz gemeldet hat. "Doch entweder melden die sich nicht zurück, wollen keine Studierenden oder sagen ab." Die junge Frau aus Duisburg hat sich jetzt auf die Warteliste für ein Zimmer im Studierendenwohnheim setzen lassen.
"Ein Freund hat mich gewarnt: Das könne ein Jahr und länger dauern." Bis dahin will Mirac von Duisburg nach Münster pendeln. Etwas anderes bleibt ihr und den vielen Erstsemestern hier nicht übrig. Sie haben einen Studienplatz, aber keine Wohnung.
Darüber ärgert sich AStA-Vorsitzende Theresa Dissen sehr. "Wenn das so weiter geht, dann können in Münster nur noch Kinder von reichen Eltern studieren, die in der Lage sind, die teuren Mieten zu bezahlen. Alle anderen haben das Nachsehen." Dissen fordert in Städten wie Münster mit explodierenden Mieten preiswerten Wohnraum unter anderem für Studierende.
"Auch eine lustige Erfahrung"
Theresa Dissen und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom AStA laufen durch die Turnhalle, sprechen einzelne Leute an, ob es ihnen gut geht, ob sie noch etwas brauchen. Es ist 23.30 Uhr. Schlafenszeit in der Turnhalle. Schnell werden noch die letzten Luftmatratzen aufgepumpt.
Klara Schultenwolter aus Köln (19) hat ihr Lager neben Mirac Gycly aufgeschlagen. Sie will nicht allein in der riesengroßen Halle liegen und hat sich deshalb zu anderen Frauen gesellt. Zufallsbekanntschaften im Notquartier. "Wenn ich ehrlich bin, auch eine lustige Erfahrung", meint Klara. Dann geht das Licht aus. Jemand sagt leise und doch für alle hörbar: "Gute Nacht!"
Unsere Quellen:
- WDR-Reporterin vor Ort
- AStA Uni Münster