U-Haft für Imamoglu | Aktuelle Stunde Aktuelle Stunde 23.03.2025 42:58 Min. UT Verfügbar bis 23.03.2027 WDR Von Astrid Houben

Erdoğan-Rivale İmamoğlu wird CHP-Präsidentschaftskandidat

Stand: 24.03.2025, 07:25 Uhr

Ein Gericht hat entschieden, den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu zu inhaftieren und ihn "vorübergehend" als Bürgermeister abzusetzen. Seine Partei CHP wählte ihn zum Präsidentschaftskandidaten, Millionen Menschen in der Türkei gaben ihre Stimme symbolisch für den Oppositionspolitiker ab.

Die türkische Oppositionspartei CHP hat den abgesetzten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gewählt. Parteichef Özgür Özel erklärte vor Teilnehmenden einer Demonstration in Istanbul am Sonntagabend, es hätten 1,6 Millionen der insgesamt 1,7 Millionen CHP-Mitglieder für den 53-Jährigen als Kandidat bei einer künftigen Präsidentschaftswahl gestimmt. Millionen Menschen gaben Özel zufolge auch symbolisch ihre Stimmen an sogenannten Solidaritätswahlboxen für İmamoğlu ab, die neben den regulären Urnen im ganzen Land aufgestellt worden waren.

İmamoğlu war am Mittwoch verhaftet worden, dann wurde für ihn offiziell Untersuchungshaft angeordnet. Das Gericht habe seine Inhaftierung wegen des Vorwurfs der Korruption angeordnet, so die türkische Nachrichtenagentur Andolu. Das bedeutet, er muss bis zu seiner Gerichtsverhandlung im Gefängnis bleiben.

Zudem ist İmamoğlu am Sonntag "vorübergehend" wegen der Inhaftierung als Bürgermeister von Istanbul abgesetzt worden, wie das türkische Innenministerium mitteilte. Auch die Bürgermeister der Istanbuler Gemeinden Beylikdüzü und Sisli wurden abgesetzt.

Terror- und Korruptionsvorwürfe gegen İmamoğlu

Ein Mann läuft entlang einer Polizeiblockade vor dem Istanbul Justice Palace am Tag der Verhaftung von Ekrem Imamoglu
Das Gerichtsgebäude in Istanbul am Sonntagmorgen | Bildquelle: Reuters/Umit Bektas

İmamoğlu war zeitgleich mit Dutzenden weiterer Menschen wegen Terror- und Korruptionsvorwürfen festgenommen worden, er weist alle Vorwürfe zurück. İmamoğlu gilt als aussichtsreichster Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Seit der Festnahme İmamoğlus gibt es trotz eines Verbots allabendlich Demonstrationen in zahlreichen Städten. Berichten zufolge setzt die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein. Laut Innenministerium wurden inzwischen mehr als 700 Menschen festgenommen.

Deniz Yücel befürchtet Entstehung einer Diktatur

Der deutsch-türkische "Welt"-Journalist Deniz Yücel hält die Vorwürfe gegen İmamoğlu für "lächerlich". Yücel befürchtet, dass in der Türkei jetzt eine Diktatur entstehen könnte. "Jetzt haben wir den Moment erreicht, wo die Opposition nicht mehr den Kandidaten aufstellen soll, den sie aufstellen möchte", so Yücel. "Es steht im Raum, dass die Istanbuler Stadtverwaltung unter eine Zwangsverwaltung gestellt wird. Es steht sogar im Raum, dass die CHP, die Partei von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, unter Zwangsaufsicht gestellt wird."

Wenn Erdoğan nicht mehr nur über den Staat bestimme, sondern auch noch über die Opposition, dann stehe man vor einer Diktatur und das sei keine Autokratie mehr, so Yücel.

Manche Türkinnen und Türken in NRW äußern sich in eine andere Richtung. "Dann sagt man, der Erdogan hat den verhaften lassen, was ja gar nicht stimmt", so ein Mann in Köln-Mülheim gegenüber einem Team der WDR-Fernseh-Sendung Aktuelle Stunde. Er vertraut auf die türkische Justiz und darauf wie sie mit Meldungen und Informationen arbeite.

Proteste auch in Deutschland - und Wahlen in Duisburg

Doch auch in Deutschland protestieren Menschen gegen die Verhaftung von İmamoğlu: Am Samstag kamen in Köln laut Polizei etwa 1.500 bis 2.000 Teilnehmende zusammen. Am Sonntag demonstrierten in Berlin nach ersten Schätzungen etwa 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf dem Breitscheidtplatz.

In Duisburg hat die CHP-Jugendorganisation am Sonntag ein improvisiertes Wahllokal eingerichtet. 700 Zettel wurden für die Wahl von Ekrem İmamoğlu zum CHP-Präsidentschaftskandidaten vorbereitet. Wie WDR-Reporterin Christina Schlosser berichtete, waren diese bereits nach zwei Stunden verteilt, sodass kurzfristig neue Wahlscheine geschrieben wurden.

Es gebe lange Schlangen, am Sonntagnachmittag seien bereits über 2.000 Menschen vor Ort gewesen, um ihre Solidarität auszudrücken. Die Wahl in Duisburg ist jedoch nur ein symbolischer Akt. Offiziell wählen dürfen nur CHP-Mitglieder in der Türkei.

Türkeiexperte: Kandidatur soll verhindert werden

Die türkische Regierung habe sich für die Festnahme entschieden, um seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl zu verhindern, sagte Ismail Küpeli, Türkeiexperte bei der Ruhr-Uni Bochum, am Sonntag dem WDR.

Wenn man ihn jetzt wieder freilassen würde, wären die ganzen Maßnahmen hinfällig. Das heißt, wenn man İmamoğlu daran hindern will, gegen Erdoğan anzutreten, dann muss man ihn auch weiter in Haft lassen. Ismail Küpeli, Politikwissenschaftler Ruhr-Uni Bochum

Medienaufsicht droht Sendern

Proteste am 22.3.2025 in Ankara, die Polizei setzte Wasserwerfer ein | Bildquelle: AFP/Adem Altan

Der türkische Innenminister erklärte am Sonntag, dass erneut 323 Personen in Gewahrsam genommen wurden: „Keinerlei Versuch, die öffentliche Ordnung zu gefährden, wird geduldet“. Außerdem drohte die türkische Medienaufsicht mit Strafen bei "unwahrer Berichterstattung". Medien sollen "ausschließlich offizielle Informationen und Erklärungen der zuständigen Behörden" veröffentlichen. Ansonsten würden Strafen und Lizenzentzug drohen.

Quellen:

  • Interview in der Aktuellen Stunde mit dem "Welt"-Journalisten Deniz Yücel
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Ismail Küpeli, Türkeiexperte bei der Ruhr-Uni Bochum im Gespräch mit WDR aktuell (Fernsehen)
  • WDR-Reporterin Christina Schlosser vor Ort