Einbürgerungen sollen einfacher werden WDR aktuell 23.08.2023 15:40 Min. Verfügbar bis 23.08.2025 WDR Von Oliver Schäfer

"Doppelpass" für alle: "Großer Schritt" oder "falscher Weg"?

Stand: 23.08.2023, 15:41 Uhr

Ausländer, die hier leben, sollen künftig schneller eingebürgert werden. Zudem können sie ihre erste Staatsbürgerschaft behalten. Die Betroffenen begrüßen die Reform, der Opposition geht sie zu weit.

Von Ingo Neumayer

Die Ampel-Koalition will das Staatsangehörigkeitsrecht reformieren. Der Gesetzentwurf von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), der am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde, sieht vor, Einbürgerungen zu vereinfachen. "Wir wollen, dass Menschen, die längst Teil unserer Gesellschaft sind, unser Land auch demokratisch mitgestalten können", sagte Faeser dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Zukünftig soll die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich ermöglicht werden. Bislang sind zwei Pässe nur Menschen aus der EU, der Schweiz sowie aus Ländern, die ihre Bürger nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen, erlaubt. Für die rund 1,5 Millionen Türkinnen und Türken, die hier leben und die die größte ausländische Bevölkerungsgruppe bilden, gab es diese Möglichkeit nicht. Sie mussten sich entscheiden - und behielten in der Regel ihren türkischen Pass.

Türkische Verbände rechnen mit großer Nachfrage nach deutschem Pass

"Ein klares Handicap", sagte Tayfun Keltek, Vorsitzender des NRW-Landesintegrationsrats, dem WDR. Die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes und damit auch die Verbindung zur Kultur und zur Heimat der Familie aufzugeben, sei "emotional schwierig". Dass bislang manche Ausländer den "Doppelpass" erhalten hätten, andere aber nicht, sei ein Unding, so Keltek: "Diese politische Fehlhaltung wird nun endlich aufgegeben."

Doch nicht nur der emotionale Zwiespalt, auch ganz konkrete Nachteile hätten bislang viele Menschen daran gehindert, sich für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden. "Wer etwa den türkischen Pass aufgibt, kann Probleme mit der dortigen Verwaltung bekommen, etwa bei Erbschaften, Investitionen oder auch bei Reisen", sagte Ksenija Sakelšek dem WDR. Sie engagiert sich in Unna für Integration und bewertet den Gesetzentwurf als "großen Schritt in die richtige Richtung". Auch Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, rechnet mit deutlich mehr Anträgen auf Einbürgerung.

Mitwirken an demokratischen Prozessen

Einer, der die Staatsangehörigkeit mittlerweile hat, ist Samer Al Najjar. Er floh 2014 aus Syrien nach Deutschland und hat seit etwa zwei Jahren den deutschen Pass. Derzeit arbeitet er beim Schulamt im Kreis Mettmann. Die Einbürgerung sei in seinem Fall ziemlich kompliziert gewesen, sagt der 29-Jährige bei WDR Cosmo. Da er aus politischen Gründen verfolgt wurde, sei es ihm beispielsweise nicht möglich gewesen, bei der syrischen Botschaft Unterlagen zu besorgen. Nun freue er sich umso mehr, dass er den deutschen Pass bekommen habe: "Ich genieße die politische Freiheit", so Al Najjar. "Ich bin sehr politikinteressiert - ich wollte unbedingt an den Wahlen in Deutschland teilnehmen."

Für Sakelšek ist vor allem die Möglichkeit zur Teilhabe und zum Mitwirken an demokratischen Prozessen ein wichtiger Faktor. "Warum soll ich mich integrieren, wenn ich nichts zu sagen habe und hier noch nicht einmal wählen gehen darf?" Auf diese Haltung stoße sie bei ihrer Arbeit immer wieder. Menschen mit internationaler Familiengeschichte seien "parteipolitisch unterrepräsentiert", und das, so ihre Hoffnung, könnte sich mit der Gesetzesreform bald ändern.

Kulturelle Vielfalt als Wirtschaftsfaktor

Dass Menschen noch eine weitere Sprache und Kultur hätten, werde in Deutschland manchmal als Nachteil gesehen, so die Unnaer Integrationsrat-Vorsitzende Sakelšek. Dabei seien Qualifikationen wie Mehrsprachigkeit und die Kenntnis über verschiedene Kulturen in einer globalisierten Welt doch sehr gefragt. Auch Innenministerin Faeser betont die wirtschaftlichen Vorteile. Ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht sei "ein entscheidender Schlüssel" für die Wettbewerbsfähigkeit.

Voraussetzung bei Einbürgerung: Man kann Lebensunterhalt selbst bestreiten

Neben Erleichterungen bei der doppelten Staatsangehörigkeit beinhaltet die Gesetzesreform weitere Änderungen. So soll eine Einbürgerung künftig nach fünf statt bislang acht Jahren möglich sein, bei besonders gut Integrierten soll es bereits nach drei Jahren möglich sein. Allerdings gibt es auch eine Verschärfung: So erhält man künftig die Staatsbürgerschaft nur dann, wenn man in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Konstantin von Notz, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, hält das für "ungerecht" mit Hinblick auf Alleinerziehende, Behinderte oder Menschen, die unverschuldet in wirschaftliche Not geraten seien. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte auf dem Twitter-Nachfolger "X", Deutschland brauche "Einwanderung in den Arbeitsmarkt, nicht in die sozialen Sicherungssysteme".

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Herkunftsländer: Die meisten stammen aus der Türkei

Laut Ausländerzentralregister lebten im Jahr 2022 rund 13,4 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Den größten Anteil unter den Herkunftsländern hatte die Türkei (1,5 Millionen), gefolgt von der Ukraine (1,2 Millionen) und Syrien (0,9 Millionen). 2,7 Millionen Menschen besaßen 2022 neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit. Die meisten von ihnen stammen aus Polen, gefolgt von Russland und der Türkei.

CDU/CSU: Bisheriges Gesetz reicht aus

Kritik an der Reform des Gesetzes kam aus der Opposition. So bezeichnete Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Erleichterung bei der Mehrstaatigkeit und die Verkürzung der Wartezeiten im WDR als "falschen Weg". Er halte die bisherige Regelung für "sehr gut". Angesichts eines Zuwachses der Einbürgerungen von 28 Prozent im Jahr 2022, verglichen mit dem Vorjahr, könne man nicht von einem "unattraktiven System" sprechen. Die AfD-Bundessprecherin Alice Weidel, sprach in einer Mitteilung von "Einbürgerungsirrsinn".

Die Gesetzesreform soll im Herbst vom Bundestag verabschiedet werden und könnte zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Der Bundesrat muss laut Faeser nicht zustimmen.

Hinweis: Frau Sakelšek und Herr Keltek sind Mitglieder des WDR-Rundfunkrats