Spurensuche: Übergriffe in der Silvesternacht
Aktuelle Stunde . 02.01.2025. 30:46 Min.. UT. Verfügbar bis 02.01.2027. WDR. Von Nils Rode.
Silvester-Ausschreitungen: Brauchen wir härtere Strafen?
Stand: 02.01.2025, 16:47 Uhr
Nach brutalen Böller-Attacken in der Silvesternacht läuft die Diskussion über Konsequenzen. Sind härtere Strafen der Ausweg?
Fünf Tote durch Böller "Marke Eigenbau", unzählige Verletzte infolge von sorglosem oder sogar aggressivem Umgang mit Feuerwerk und auch in diesem Jahr wieder gezielte Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Sanitäter. Die Bilanz der Silvesternacht scheint denjenigen Recht zu geben, die eine Gewaltbereitschaft der jungen Generation beklagen.
Besonders in Berlin hatten sich in einigen Straßenzügen erschreckende Szenen abgespielt: Gruppen von Heranwachsenden und jungen Männern attackierten dort gezielt Menschen mit Böllern und Raketen, es gab zahlreiche Verletzte und hohe Sachschäden. Aber auch in NRW-Städten gab es Ausschreitungen - einige Beispiele:
- Unbekannte bewerfen in mehreren Kölner Stadtteilen Ordnungskräfte mit Böllern. Drei Beamte werden verletzt, davon einer schwer.
- In Gelsenkirchen werden Feuerwehrleute angegriffen, die gerade einen Mülltonnenbrand löschen.
- In Erkrath bei Düsseldorf bauen etwa 150 Jugendliche Barrikaden, legen Feuer und schießen Raketen auf Feuerwehrleute. Polizisten setzen Schutzschilde ein, um Löscharbeiten überhaupt zu ermöglichen.
- In Bonn attackieren Jugendliche offenbar absichtlich einen Obdachlosen mit Pyrotechnik.
- Mehrere Bundespolizisten und Passanten sind in der Silvesternacht am Mönchengladbacher Hauptbahnhof mit Feuerwerkskörpern beschossen worden.
Böller Dortmund | sv
00:39 Min.. Verfügbar bis 02.01.2027.
Mehr Angriffe, weniger Verletzte
Im Vergleich zum Vorjahr habe die Zahl der Angriffe auf Einsatzkräfte zugenommen, die Anzahl der verletzten Einsatzkräfte sei aber zurückgegangen, erklärte das NRW-Innenministerium am Donnerstag. Insgesamt 17 Polizistinnen und Polizisten seien verletzt worden, sieben weniger als zum Jahreswechsel 2023/2024. In insgesamt 54 Fällen wurden Einsatzkräfte dem Ministerium zufolge aus einer Gruppe heraus mit Pyrotechnik angegriffen. Es gab demnach 76 Strafanzeigen wegen Widerstands und tätlichen Angriffen.
Ahmad Mansour
Für den Psychologen und Autor Ahmad Mansour sind solche Krawalle vor allem eine Herausforderung für den Rechtsstaat. "Die Jugendlichen haben das Gefühl, sie können machen was sie wollen und der Rechtsstaat hat keine Antwort", sagte Mansour dem WDR am Donnerstag. Lange habe man in Deutschland ignoriert, dass sich vor allen in den Großstädten Milieus von jungen Männern mit Migrationshintergrund gebildet haben, die mit ihren Gewalttaten eine toxische Männlichkeit zelebrieren, sagt Mansour.
Mansour fordert härtere Strafen
Angesichts der Schwere der begangenen Straftaten gebe es nur eine Lösung, meint Masour: "Harte Konsequenzen." Die Täter müssten identifiziert und möglichst schnell vor Gericht gestellt werden. Die Strafen müssten so hart sein, dass sie eine echte Abschreckung darstellen. "Es muss weh tun."
Dirk Baier
Die Empörung über solche Gewaltakte sei zwar verständlich, meint hingegen Gewaltforscher Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention im Gespräch mit dem SWR. Doch die weit verbreitete Ansicht, dass sie der Beweis für eine zunehmenden Verrohung der jungen Generation sei, werde von den Fakten nicht gestützt. "Wir können relativ klar sagen, dass die Brutalisierungsthese so nicht stimmt", sagt Baier.
Im Gegenteil: Speziell bei schweren Gewaltstraftaten gehe die Zahl der Fälle in Deutschland seit zehn bis 15 Jahren sogar zurück. "Wenn wir die längere Zeit betrachten, also die 1950er und 60er-Jahre als Ausgangspunkt nehmen, ist es so viel sicherer in Deutschland geworden."
Gewaltforscher: Härtere Strafen bringen wenig
Der Ruf nach härteren Strafen für Randalierer sei nach solchen Vorfällen zwar sehr populär, meint Baier, doch das Strafrecht habe nur einen sehr begrenzten Einfluss auf jugendliches Wohlverhalten. "Die Wissenschaft hat eine klare Position: Harte Strafen verändern nicht wirklich etwas." Wer Jugendliche vor dem Abrutschen in Gewalt und Kriminalität schützen wolle, müsse sich auf Erziehung konzentrieren. Wenn das Elternhaus dies nicht leisten könne, seien Schulen und soziale Netzwerke wie Verwandte, Freunde und Nachbarn gefragt.
Ein Beispiel: Vertrauen in die Polizei sei bei vielen Jugendlichen gar nicht vorhanden, teilweise würde das negative Bild bereits im Elternhaus vermittelt, sagt Baier. Diese grundsätzliche Ablehnung könne in bestimmten Situationen in Gewalt umschlagen - besonders wenn sich die Täter in einer anonymen Gruppe verstecken können.
Unsere Quellen:
- Deutsche Presse Agentur
- Innenministerium NRW
- Interview mit Ahmad Masour
- SWR-Interview mit Dirk Baier