Schwangerschaftsabbruch: Bundestag stimmt über Gehsteigbelästigung ab

Stand: 05.07.2024, 08:57 Uhr

Der Bundestag stimmt heute über eine Gesetzesänderung ab, die Schwangere besser vor Abtreibungsgegnern schützen soll. Wer Frauen zum Beispiel vor Beratungsstellen, Praxen oder Kliniken belästigt oder behindert, muss mit einem Bußgeld rechnen.

Bekannt ist der Protest der Abtreibungsgegner als sogenannte Gehsteigbelästigung. Die Bundesregierung sieht darin ein zunehmendes Problem und will diese Handlungen mit Bußgeldern von bis zu 5.000 Euro ahnden. 

Künftig soll es demnach untersagt sein, das Betreten und Verlassen der Einrichtungen absichtlich zu erschweren, einer Schwangeren die eigene Meinung aufzudrängen oder sie mit verstörenden Inhalten zu konfrontieren. Verstöße stellen laut Gesetzentwurf eine Ordnungswidrigkeit dar. Von der Gesetzesänderung erfasst sind "wahrnehmbare Verhaltensweisen in einem Bereich von 100 Metern um den Eingangsbereich" entsprechender Einrichtungen.

Frauen müssen durch den Hintereingang zur Beratung

Medizinerin Kristina Hänel | Bildquelle: dpa/Boris Roessler

Dass diese Anfeindungen zur Ordnungswidrigkeit erhoben werden sollen, lobt die Ärztin Kristina Hänel: "Ich begrüße das sehr." Die Medizinerin aus Gießen kämpft seit Jahren für die Rechte schwangerer Frauen, und ihre Arbeit wird seit Jahrzehnten erschwert. 2017 wurde Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Informationen zum Schwangerschaftsabbruch bereitstellte. Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches, der dies unter Strafe stellt, wurde 2022 abgeschafft - und Hänel damit rehabilitiert.

Die Anonymität, sagt sie, sei bei dem heiklen Thema für Frauen essenziell: "Viele wollen, dass es keiner erfährt. Es gibt Frauen, die dadurch in Lebensgefahr geraten können." Der Abbruch an sich sei für Frauen "nicht traumatisch", wenn sie gut beraten werden und die Entscheidung für sie "okay" ist. Zum Problem werde der Abbruch erst durch fehlende Akzeptanz des eigenen Umfeldes und Anfeindungen wie den Gehsteigbelästigungen.

Pro Familia: Gehsteigbelästigung greift in Rechte der Frauen ein

Das wird auch von der Beratungsstelle Pro Familia bestätigt, der zufolge 95 Prozent der Betroffenen ihren Schwangerschaftsabbruch auch Jahre später für die richtige Entscheidung halten: "Als belastend werden vielmehr die ungeplante Schwangerschaft und insbesondere die gesellschaftlichen Begleitumstände - Tabuisierung, Stigmatisierung, Kriminalisierung, Restriktion des Zugangs - empfunden", so eine Sprecherin des Verbandes auf WDR-Nachfrage. Zu den belastenden negativen Umständen zählten auch die Konfrontationen mit Abtreibungsgegnern.

Kliniken und Arztpraxen von Protesten betroffen

Pro Familia sei bislang selten von solchen Vorfällen betroffen und könne den Beratungsstellenbetrieb so organisieren, dass Klientinnen "so wenig Kontakt wie möglich zu den Abtreibungsgegnern haben". Arztpraxen wie die von Hänel oder auch die Gynaikon-Klinik in Dortmund träfe das eher. So habe es etwa in Dortmund in den vergangenen Jahren Proteste gegeben, und die zuständige Ärztin, Mitarbeitende sowie der Vermieter des Gebäudes seien belästigt und bedroht worden.

Juristen-Vereinigung Lebensrecht kritisiert Gesetzentwurf

Kritik an dem Gesetzvorhaben kommt unter anderem von der Kölner Juristen-Vereinigung Lebensrecht. Aus Sicht des Vorsitzenden, dem Rechtswissenschaftler Christian Hillgruber, drängt das neue Gesetz "die Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit weit zurück - und zwar wesentlich weiter, als dies verfassungsrechtlich zulässig ist". Ihm zufolge müssen Frauen "wegen des Pluralismus der Meinungen harmlose Formen von Demonstrationen hinnehmen".

Bislang sind Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich illegal - und dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werden. Dazu zählt eine verpflichtende Beratung für Frauen mit einem Abbruchwunsch.

Unsere Quellen:

  • Gespräch mit Ärztin Kristina Hänel
  • Gespräch mit Pro Familia
  • Nachrichtenagenturen dpa, KNA und AFP
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung